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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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dienstvollen Männern seines Zeitalters stand
er in Verhältnissen. So jung er war, hatte
er ein Auge auf die hervorkeimende hoff¬
nungsvolle Jugend seines Vaterlandes, auf
die stillen Arbeiten in so vielen Fächern be¬
schäftigter und thätiger Männer. Er ließ
mich einen Überblick über Deutschland thun,
was es sey, und was es seyn könne, und ich
schämte mich, eine Nation nach der verwor¬
renen Menge beurtheilt zu haben, die sich
in eine Theatergarderobe drängen mag. Er
machte mir's zur Pflicht, auch in meinem
Fache wahr, geistreich und belebend zu seyn.
Nun schien ich mir selbst inspirirt, so oft ich
auf das Theater trat. Mittelmäßige Stel¬
len wurden zu Gold in meinem Munde, und
hätte mir damals ein Dichter zweckmäßig
beygestanden, ich hätte die wunderbarsten
Wirkungen hervorgebracht.

So lebte die junge Wittwe Monate lang

dienſtvollen Männern ſeines Zeitalters ſtand
er in Verhältniſſen. So jung er war, hatte
er ein Auge auf die hervorkeimende hoff¬
nungsvolle Jugend ſeines Vaterlandes, auf
die ſtillen Arbeiten in ſo vielen Fächern be¬
ſchäftigter und thätiger Männer. Er ließ
mich einen Überblick über Deutſchland thun,
was es ſey, und was es ſeyn könne, und ich
ſchämte mich, eine Nation nach der verwor¬
renen Menge beurtheilt zu haben, die ſich
in eine Theatergarderobe drängen mag. Er
machte mir’s zur Pflicht, auch in meinem
Fache wahr, geiſtreich und belebend zu ſeyn.
Nun ſchien ich mir ſelbſt inſpirirt, ſo oft ich
auf das Theater trat. Mittelmäßige Stel¬
len wurden zu Gold in meinem Munde, und
hätte mir damals ein Dichter zweckmäßig
beygeſtanden, ich hätte die wunderbarſten
Wirkungen hervorgebracht.

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[331/0340] dienſtvollen Männern ſeines Zeitalters ſtand er in Verhältniſſen. So jung er war, hatte er ein Auge auf die hervorkeimende hoff¬ nungsvolle Jugend ſeines Vaterlandes, auf die ſtillen Arbeiten in ſo vielen Fächern be¬ ſchäftigter und thätiger Männer. Er ließ mich einen Überblick über Deutſchland thun, was es ſey, und was es ſeyn könne, und ich ſchämte mich, eine Nation nach der verwor¬ renen Menge beurtheilt zu haben, die ſich in eine Theatergarderobe drängen mag. Er machte mir’s zur Pflicht, auch in meinem Fache wahr, geiſtreich und belebend zu ſeyn. Nun ſchien ich mir ſelbſt inſpirirt, ſo oft ich auf das Theater trat. Mittelmäßige Stel¬ len wurden zu Gold in meinem Munde, und hätte mir damals ein Dichter zweckmäßig beygeſtanden, ich hätte die wunderbarſten Wirkungen hervorgebracht. So lebte die junge Wittwe Monate lang

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/340>, abgerufen am 24.11.2024.