Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Anlässe stark genug; es scheint dir unmöglich
dich zu entscheiden, du wünschest, daß irgend
ein Übergewicht von Aussen deine Wahl be¬
stimmen möge, und doch, wenn du dich recht
untersuchst, so sind es nur äussere Umstände,
die dir eine Neigung zu Gewerb, Erwerb
und Besitz einflößen, aber dein innerstes Be¬
dürfniß erzeugt und nährt den Wunsch, die
Anlagen, die in dir zum Guten und Schö¬
nen ruhen mögen, sie seyen körperlich oder
geistig, immer mehr zu entwickeln und aus¬
zubilden. Und muß ich nicht das Schicksal
verehren, das mich ohne mein Zuthun hier¬
her an das Ziel aller meiner Wünsche führt?
Geschieht nicht alles, was ich mir ehemals
ausgedacht und vorgesetzt, nun zufällig ohne
mein Mitwirken? Sonderbar genug! Der
Mensch scheint mit nichts vertrauter zu seyn,
als mit seinen Hoffnungen und Wünschen,
die er lange im Herzen nährt und bewahrt,

Anläſſe ſtark genug; es ſcheint dir unmöglich
dich zu entſcheiden, du wünſcheſt, daß irgend
ein Übergewicht von Auſſen deine Wahl be¬
ſtimmen möge, und doch, wenn du dich recht
unterſuchſt, ſo ſind es nur äuſſere Umſtände,
die dir eine Neigung zu Gewerb, Erwerb
und Beſitz einflößen, aber dein innerſtes Be¬
dürfniß erzeugt und nährt den Wunſch, die
Anlagen, die in dir zum Guten und Schö¬
nen ruhen mögen, ſie ſeyen körperlich oder
geiſtig, immer mehr zu entwickeln und aus¬
zubilden. Und muß ich nicht das Schickſal
verehren, das mich ohne mein Zuthun hier¬
her an das Ziel aller meiner Wünſche führt?
Geſchieht nicht alles, was ich mir ehemals
ausgedacht und vorgeſetzt, nun zufällig ohne
mein Mitwirken? Sonderbar genug! Der
Menſch ſcheint mit nichts vertrauter zu ſeyn,
als mit ſeinen Hoffnungen und Wünſchen,
die er lange im Herzen nährt und bewahrt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0371" n="362"/>
Anlä&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tark genug; es &#x017F;cheint dir unmöglich<lb/>
dich zu ent&#x017F;cheiden, du wün&#x017F;che&#x017F;t, daß irgend<lb/>
ein Übergewicht von Au&#x017F;&#x017F;en deine Wahl be¬<lb/>
&#x017F;timmen möge, und doch, wenn du dich recht<lb/>
unter&#x017F;uch&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ind es nur äu&#x017F;&#x017F;ere Um&#x017F;tände,<lb/>
die dir eine Neigung zu Gewerb, Erwerb<lb/>
und Be&#x017F;itz einflößen, aber dein inner&#x017F;tes Be¬<lb/>
dürfniß erzeugt und nährt den Wun&#x017F;ch, die<lb/>
Anlagen, die in dir zum Guten und Schö¬<lb/>
nen ruhen mögen, &#x017F;ie &#x017F;eyen körperlich oder<lb/>
gei&#x017F;tig, immer mehr zu entwickeln und aus¬<lb/>
zubilden. Und muß ich nicht das Schick&#x017F;al<lb/>
verehren, das mich ohne mein Zuthun hier¬<lb/>
her an das Ziel aller meiner Wün&#x017F;che führt?<lb/>
Ge&#x017F;chieht nicht alles, was ich mir ehemals<lb/>
ausgedacht und vorge&#x017F;etzt, nun zufällig ohne<lb/>
mein Mitwirken? Sonderbar genug! Der<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;cheint mit nichts vertrauter zu &#x017F;eyn,<lb/>
als mit &#x017F;einen Hoffnungen und Wün&#x017F;chen,<lb/>
die er lange im Herzen nährt und bewahrt,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0371] Anläſſe ſtark genug; es ſcheint dir unmöglich dich zu entſcheiden, du wünſcheſt, daß irgend ein Übergewicht von Auſſen deine Wahl be¬ ſtimmen möge, und doch, wenn du dich recht unterſuchſt, ſo ſind es nur äuſſere Umſtände, die dir eine Neigung zu Gewerb, Erwerb und Beſitz einflößen, aber dein innerſtes Be¬ dürfniß erzeugt und nährt den Wunſch, die Anlagen, die in dir zum Guten und Schö¬ nen ruhen mögen, ſie ſeyen körperlich oder geiſtig, immer mehr zu entwickeln und aus¬ zubilden. Und muß ich nicht das Schickſal verehren, das mich ohne mein Zuthun hier¬ her an das Ziel aller meiner Wünſche führt? Geſchieht nicht alles, was ich mir ehemals ausgedacht und vorgeſetzt, nun zufällig ohne mein Mitwirken? Sonderbar genug! Der Menſch ſcheint mit nichts vertrauter zu ſeyn, als mit ſeinen Hoffnungen und Wünſchen, die er lange im Herzen nährt und bewahrt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/371
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/371>, abgerufen am 21.11.2024.