meine Geduld nicht hinreichen. Macht doch in Gottesnahmen nicht so viel Umstände! Die Gäste die vom Tische aufstehen, haben nachher an jedem Gerichte was auszusetzen; ja wenn man sie zu Hause reden hört, so ist es ihnen kaum begreiflich, wie sie eine solche Noth haben ausstehen können.
Lassen Sie mich Ihr Gleichniß zu mei¬ nem Vortheile brauchen, schönes Kind, ver¬ setzte Wilhelm. Bedenken Sie was Natur und Kunst, was Handel, Gewerke und Ge¬ werbe zusammen schaffen müssen, bis ein Gastmahl gegeben werden kann. Wie viel Jahre muß der Hirsch im Walde, der Fisch im Fluß oder Meere zubringen, bis er unsre Tafel zu besetzen würdig ist, und was hat die Hausfrau, die Köchin nicht alles in der Küche zu thun? Mit welcher Nachlässigkeit schlürft man die Sorge des entferntesten Winzers, des Schiffers, des Kellermeisters,
W. Meisters Lehrj. 3. G
meine Geduld nicht hinreichen. Macht doch in Gottesnahmen nicht ſo viel Umſtände! Die Gäſte die vom Tiſche aufſtehen, haben nachher an jedem Gerichte was auszuſetzen; ja wenn man ſie zu Hauſe reden hört, ſo iſt es ihnen kaum begreiflich, wie ſie eine ſolche Noth haben ausſtehen können.
Laſſen Sie mich Ihr Gleichniß zu mei¬ nem Vortheile brauchen, ſchönes Kind, ver¬ ſetzte Wilhelm. Bedenken Sie was Natur und Kunſt, was Handel, Gewerke und Ge¬ werbe zuſammen ſchaffen müſſen, bis ein Gaſtmahl gegeben werden kann. Wie viel Jahre muß der Hirſch im Walde, der Fiſch im Fluß oder Meere zubringen, bis er unſre Tafel zu beſetzen würdig iſt, und was hat die Hausfrau, die Köchin nicht alles in der Küche zu thun? Mit welcher Nachläſſigkeit ſchlürft man die Sorge des entfernteſten Winzers, des Schiffers, des Kellermeiſters,
W. Meiſters Lehrj. 3. G
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meine Geduld nicht hinreichen. Macht doch
in Gottesnahmen nicht ſo viel Umſtände!
Die Gäſte die vom Tiſche aufſtehen, haben
nachher an jedem Gerichte was auszuſetzen;
ja wenn man ſie zu Hauſe reden hört, ſo iſt
es ihnen kaum begreiflich, wie ſie eine ſolche
Noth haben ausſtehen können.
Laſſen Sie mich Ihr Gleichniß zu mei¬
nem Vortheile brauchen, ſchönes Kind, ver¬
ſetzte Wilhelm. Bedenken Sie was Natur
und Kunſt, was Handel, Gewerke und Ge¬
werbe zuſammen ſchaffen müſſen, bis ein
Gaſtmahl gegeben werden kann. Wie viel
Jahre muß der Hirſch im Walde, der Fiſch
im Fluß oder Meere zubringen, bis er unſre
Tafel zu beſetzen würdig iſt, und was hat
die Hausfrau, die Köchin nicht alles in der
Küche zu thun? Mit welcher Nachläſſigkeit
ſchlürft man die Sorge des entfernteſten
Winzers, des Schiffers, des Kellermeiſters,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/103>, abgerufen am 04.01.2025.
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