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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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"Gewiß den schönsten, auf den sich Ham¬
let selbst was zu gute thut."

Und der wäre? rief Serlo.

Wenn Sie eine Perücke auf hätten, ver¬
setzte Philine, würde ich sie Ihnen ganz säu¬
berlich abnehmen; denn es scheint nöthig,
daß man Ihnen das Verständniß eröffne.

Die andern dachten nach, und die Unter¬
haltung stockte. Man war aufgestanden, es
war schon spät, man schien auseinander ge¬
hen zu wollen. Als man so unentschlossen da
stand, fing Philine ein Liedchen, auf eine sehr
zierliche und gefällige Melodie, zu singen an.

Singet nicht in Trauertönen
Von der Einsamkeit der Nacht,
Nein, sie ist, o holde Schönen,
Zur Geselligkeit gemacht.
Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die schönste Hälfte war,
Ist die Nacht das halbe Leben,
Und die schönste Hälfte zwar.
G 2

»Gewiß den ſchönſten, auf den ſich Ham¬
let ſelbſt was zu gute thut.»

Und der wäre? rief Serlo.

Wenn Sie eine Perücke auf hätten, ver¬
ſetzte Philine, würde ich ſie Ihnen ganz ſäu¬
berlich abnehmen; denn es ſcheint nöthig,
daß man Ihnen das Verſtändniß eröffne.

Die andern dachten nach, und die Unter¬
haltung ſtockte. Man war aufgeſtanden, es
war ſchon ſpät, man ſchien auseinander ge¬
hen zu wollen. Als man ſo unentſchloſſen da
ſtand, fing Philine ein Liedchen, auf eine ſehr
zierliche und gefällige Melodie, zu ſingen an.

Singet nicht in Trauertönen
Von der Einſamkeit der Nacht,
Nein, ſie iſt, o holde Schönen,
Zur Geſelligkeit gemacht.
Wie das Weib dem Mann gegeben
Als die ſchönſte Hälfte war,
Iſt die Nacht das halbe Leben,
Und die ſchönſte Hälfte zwar.
G 2
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[99/0105] »Gewiß den ſchönſten, auf den ſich Ham¬ let ſelbſt was zu gute thut.» Und der wäre? rief Serlo. Wenn Sie eine Perücke auf hätten, ver¬ ſetzte Philine, würde ich ſie Ihnen ganz ſäu¬ berlich abnehmen; denn es ſcheint nöthig, daß man Ihnen das Verſtändniß eröffne. Die andern dachten nach, und die Unter¬ haltung ſtockte. Man war aufgeſtanden, es war ſchon ſpät, man ſchien auseinander ge¬ hen zu wollen. Als man ſo unentſchloſſen da ſtand, fing Philine ein Liedchen, auf eine ſehr zierliche und gefällige Melodie, zu ſingen an. Singet nicht in Trauertönen Von der Einſamkeit der Nacht, Nein, ſie iſt, o holde Schönen, Zur Geſelligkeit gemacht. Wie das Weib dem Mann gegeben Als die ſchönſte Hälfte war, Iſt die Nacht das halbe Leben, Und die ſchönſte Hälfte zwar. G 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/105>, abgerufen am 15.05.2024.