Nun war Wein, wohlriechendes Wasser und was nur erquicken und erfrischen konn¬ te, im Überfluß da, nun kam auch der Wund¬ arzt und ich hätte wohl abtreten können; allein Narciß hielt mich fest bey der Hand, und ich wäre ohne gehalten zu werden ste¬ hen geblieben. Ich fuhr während des Ver¬ bandes fort, ihn mit Wein anzustreichen und achtete es wenig, daß die ganze Gesellschaft nunmehr umher stand. Der Wundarzt hat¬ te geendigt, der Verwundete nahm einen stummen verbindlichen Abschied von mir und wurde nach Hause getragen.
Nun führte mich die Hausfrau in ihr Schlafzimmer; sie mußte mich ganz ausklei¬ den und ich darf nicht verschweigen, daß ich, da man sein Blut von meinem Körper ab¬ wusch, zum erstenmal zufällig im Spiegel gewahr wurde, daß ich mich auch ohne Hül¬ le für schön halten durfte. Ich konnte kei¬
Nun war Wein, wohlriechendes Waſſer und was nur erquicken und erfriſchen konn¬ te, im Überfluß da, nun kam auch der Wund¬ arzt und ich hätte wohl abtreten können; allein Narciß hielt mich feſt bey der Hand, und ich wäre ohne gehalten zu werden ſte¬ hen geblieben. Ich fuhr während des Ver¬ bandes fort, ihn mit Wein anzuſtreichen und achtete es wenig, daß die ganze Geſellſchaft nunmehr umher ſtand. Der Wundarzt hat¬ te geendigt, der Verwundete nahm einen ſtummen verbindlichen Abſchied von mir und wurde nach Hauſe getragen.
Nun führte mich die Hausfrau in ihr Schlafzimmer; ſie mußte mich ganz ausklei¬ den und ich darf nicht verſchweigen, daß ich, da man ſein Blut von meinem Körper ab¬ wuſch, zum erſtenmal zufällig im Spiegel gewahr wurde, daß ich mich auch ohne Hül¬ le für ſchön halten durfte. Ich konnte kei¬
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[134[234]/0240]
Nun war Wein, wohlriechendes Waſſer
und was nur erquicken und erfriſchen konn¬
te, im Überfluß da, nun kam auch der Wund¬
arzt und ich hätte wohl abtreten können;
allein Narciß hielt mich feſt bey der Hand,
und ich wäre ohne gehalten zu werden ſte¬
hen geblieben. Ich fuhr während des Ver¬
bandes fort, ihn mit Wein anzuſtreichen und
achtete es wenig, daß die ganze Geſellſchaft
nunmehr umher ſtand. Der Wundarzt hat¬
te geendigt, der Verwundete nahm einen
ſtummen verbindlichen Abſchied von mir und
wurde nach Hauſe getragen.
Nun führte mich die Hausfrau in ihr
Schlafzimmer; ſie mußte mich ganz ausklei¬
den und ich darf nicht verſchweigen, daß ich,
da man ſein Blut von meinem Körper ab¬
wuſch, zum erſtenmal zufällig im Spiegel
gewahr wurde, daß ich mich auch ohne Hül¬
le für ſchön halten durfte. Ich konnte kei¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 134[234]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/240>, abgerufen am 09.11.2024.
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