Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt, weil es verwöhnt ist, auf die Entschließun¬ gen schwacher Gemüther einigen Einfluß zu haben. Ich kannte die Welt genug, und wußte, daß man oft von eben den Personen über das getadelt wird, wozu man sich durch sie hat bereden lassen, und auch ohne das würden mir bey meiner innern Verfassung alle solche vorübergehende Meynungen we¬ niger als nichts gewesen seyn.
Dagegen versagte ich mir nicht, meiner Neigung zu Narcissen nachzuhängen. Er war mir unsichtbar geworden, und mein Herz hatte sich nicht gegen ihn geändert. Ich liebte ihn zärtlich, gleichsam auf das neue und viel gesetzter als vorher. Wollte er meine Überzeugung nicht stöhren, so war ich die Seine, ohne diese Bedingung hätte ich ein Königreich mit ihm ausgeschlagen. Mehrere Monate lang trug ich diese Em¬
Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt, weil es verwöhnt iſt, auf die Entſchließun¬ gen ſchwacher Gemüther einigen Einfluß zu haben. Ich kannte die Welt genug, und wußte, daß man oft von eben den Perſonen über das getadelt wird, wozu man ſich durch ſie hat bereden laſſen, und auch ohne das würden mir bey meiner innern Verfaſſung alle ſolche vorübergehende Meynungen we¬ niger als nichts geweſen ſeyn.
Dagegen verſagte ich mir nicht, meiner Neigung zu Narciſſen nachzuhängen. Er war mir unſichtbar geworden, und mein Herz hatte ſich nicht gegen ihn geändert. Ich liebte ihn zärtlich, gleichſam auf das neue und viel geſetzter als vorher. Wollte er meine Überzeugung nicht ſtöhren, ſo war ich die Seine, ohne dieſe Bedingung hätte ich ein Königreich mit ihm ausgeſchlagen. Mehrere Monate lang trug ich dieſe Em¬
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[270[268]/0274]
Publikum heftigen Theil zu nehmen pflegt,
weil es verwöhnt iſt, auf die Entſchließun¬
gen ſchwacher Gemüther einigen Einfluß zu
haben. Ich kannte die Welt genug, und
wußte, daß man oft von eben den Perſonen
über das getadelt wird, wozu man ſich durch
ſie hat bereden laſſen, und auch ohne das
würden mir bey meiner innern Verfaſſung
alle ſolche vorübergehende Meynungen we¬
niger als nichts geweſen ſeyn.
Dagegen verſagte ich mir nicht, meiner
Neigung zu Narciſſen nachzuhängen. Er
war mir unſichtbar geworden, und mein
Herz hatte ſich nicht gegen ihn geändert.
Ich liebte ihn zärtlich, gleichſam auf das
neue und viel geſetzter als vorher. Wollte
er meine Überzeugung nicht ſtöhren, ſo war
ich die Seine, ohne dieſe Bedingung hätte
ich ein Königreich mit ihm ausgeſchlagen.
Mehrere Monate lang trug ich dieſe Em¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 270[268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/274>, abgerufen am 06.01.2025.
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