Welche Wirkung hatte das auf mein Herz! Ich gelangte zu Erfahrungen, die mir ganz neu waren. Ich sah mit unbe¬ schreiblicher Wehmuth einen Agathon, der in den Hainen von Delphos erzogen, das Lehrgeld noch schuldig war, und es nun mit schweren rückständigen Zinsen abzahlte, und dieser Agathon war mein genau verbunde¬ ner Freund. Meine Theilnahme war leb¬ haft und vollkommen; ich litt mit ihm, und wir befanden uns beyde in dem sonderbar¬ sten Zustande.
Nachdem ich mich lange mit seiner Ge¬ müthsverfassung beschäftigt hatte, wendete sich meine Betrachtung auf mich selbst. Der Gedanke, du bist nicht besser als er, stieg wie eine kleine Wolke vor mir auf, breitete sich nach und nach aus, und verfinsterte mei¬ ne ganze Seele.
Nun dachte ich nicht mehr bloß, du bist
Welche Wirkung hatte das auf mein Herz! Ich gelangte zu Erfahrungen, die mir ganz neu waren. Ich ſah mit unbe¬ ſchreiblicher Wehmuth einen Agathon, der in den Hainen von Delphos erzogen, das Lehrgeld noch ſchuldig war, und es nun mit ſchweren rückſtändigen Zinſen abzahlte, und dieſer Agathon war mein genau verbunde¬ ner Freund. Meine Theilnahme war leb¬ haft und vollkommen; ich litt mit ihm, und wir befanden uns beyde in dem ſonderbar¬ ſten Zuſtande.
Nachdem ich mich lange mit ſeiner Ge¬ müthsverfaſſung beſchäftigt hatte, wendete ſich meine Betrachtung auf mich ſelbſt. Der Gedanke, du biſt nicht beſſer als er, ſtieg wie eine kleine Wolke vor mir auf, breitete ſich nach und nach aus, und verfinſterte mei¬ ne ganze Seele.
Nun dachte ich nicht mehr bloß, du biſt
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Welche Wirkung hatte das auf mein
Herz! Ich gelangte zu Erfahrungen, die
mir ganz neu waren. Ich ſah mit unbe¬
ſchreiblicher Wehmuth einen Agathon, der
in den Hainen von Delphos erzogen, das
Lehrgeld noch ſchuldig war, und es nun mit
ſchweren rückſtändigen Zinſen abzahlte, und
dieſer Agathon war mein genau verbunde¬
ner Freund. Meine Theilnahme war leb¬
haft und vollkommen; ich litt mit ihm, und
wir befanden uns beyde in dem ſonderbar¬
ſten Zuſtande.
Nachdem ich mich lange mit ſeiner Ge¬
müthsverfaſſung beſchäftigt hatte, wendete
ſich meine Betrachtung auf mich ſelbſt. Der
Gedanke, du biſt nicht beſſer als er, ſtieg
wie eine kleine Wolke vor mir auf, breitete
ſich nach und nach aus, und verfinſterte mei¬
ne ganze Seele.
Nun dachte ich nicht mehr bloß, du biſt
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/302>, abgerufen am 06.01.2025.
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