um zu begreifen wie es möglich sey, daß das Genie auf dem Gipfel, bey dessen blo¬ ßen Anblick uns schwindelt, sich frey und fröhlich bewege.
Er hatte in diesem Sinne eine schöne Reihe zusammen gebracht, und ich konnte mich nicht enthalten als er mir sie auslegte, die moralische Bildung hier wie im Gleich¬ nisse vor mir zu sehen. Als ich ihm meine Gedanken äußerte, versetzte er: Sie haben vollkommen Recht, und wir sehen daraus: daß man nicht wohl thut, der sittlichen Bil¬ dung, einsam, in sich selbst verschlossen, nach¬ zuhängen; vielmehr wird man finden daß derjenige, dessen Geist nach einer moralischen Cultur strebt, alle Ursache hat, seine feinere Sinnlichkeit zugleich mit auszubilden, damit er nicht in Gefahr komme, von seiner mora¬ lischen Höhe herab zu gleiten, indem er sich den Lockungen einer regellosen Phantasie
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um zu begreifen wie es möglich ſey, daß das Genie auf dem Gipfel, bey deſſen blo¬ ßen Anblick uns ſchwindelt, ſich frey und fröhlich bewege.
Er hatte in dieſem Sinne eine ſchöne Reihe zuſammen gebracht, und ich konnte mich nicht enthalten als er mir ſie auslegte, die moraliſche Bildung hier wie im Gleich¬ niſſe vor mir zu ſehen. Als ich ihm meine Gedanken äußerte, verſetzte er: Sie haben vollkommen Recht, und wir ſehen daraus: daß man nicht wohl thut, der ſittlichen Bil¬ dung, einſam, in ſich ſelbſt verſchloſſen, nach¬ zuhängen; vielmehr wird man finden daß derjenige, deſſen Geiſt nach einer moraliſchen Cultur ſtrebt, alle Urſache hat, ſeine feinere Sinnlichkeit zugleich mit auszubilden, damit er nicht in Gefahr komme, von ſeiner mora¬ liſchen Höhe herab zu gleiten, indem er ſich den Lockungen einer regelloſen Phantaſie
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um zu begreifen wie es möglich ſey, daß
das Genie auf dem Gipfel, bey deſſen blo¬
ßen Anblick uns ſchwindelt, ſich frey und
fröhlich bewege.
Er hatte in dieſem Sinne eine ſchöne
Reihe zuſammen gebracht, und ich konnte
mich nicht enthalten als er mir ſie auslegte,
die moraliſche Bildung hier wie im Gleich¬
niſſe vor mir zu ſehen. Als ich ihm meine
Gedanken äußerte, verſetzte er: Sie haben
vollkommen Recht, und wir ſehen daraus:
daß man nicht wohl thut, der ſittlichen Bil¬
dung, einſam, in ſich ſelbſt verſchloſſen, nach¬
zuhängen; vielmehr wird man finden daß
derjenige, deſſen Geiſt nach einer moraliſchen
Cultur ſtrebt, alle Urſache hat, ſeine feinere
Sinnlichkeit zugleich mit auszubilden, damit
er nicht in Gefahr komme, von ſeiner mora¬
liſchen Höhe herab zu gleiten, indem er ſich
den Lockungen einer regelloſen Phantaſie
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/345>, abgerufen am 06.01.2025.
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