fristen. Ich genaß, und war nach meiner Art wohl, konnte wieder meine Pflichten, obgleich nur auf eine kümmerliche Weise, er¬ füllen.
Meine Schwester ward wieder guter Hoffnung. Mancherley Sorgen, die in sol¬ chen Fällen der Mutter anvertraut werden, wurden mir mitgetheilt; sie lebte nicht ganz glücklich mit ihrem Manne, das sollte dem Vater verborgen bleiben, ich mußte Schieds¬ richter seyn, und konnte es um so eher, da mein Schwager Zutrauen zu mir hatte, und beyde wirklich gute Menschen waren, nur daß beyde, anstatt einander nachzusehen, mit einander rechteten, und aus Begierde, völlig mit einander überein zu leben, niemals einig werden konnten. Nun lernte ich auch die weltlichen Dinge mit Ernst angreifen, und das ausüben, was ich sonst nur gesungen hatte.
friſten. Ich genaß, und war nach meiner Art wohl, konnte wieder meine Pflichten, obgleich nur auf eine kümmerliche Weiſe, er¬ füllen.
Meine Schweſter ward wieder guter Hoffnung. Mancherley Sorgen, die in ſol¬ chen Fällen der Mutter anvertraut werden, wurden mir mitgetheilt; ſie lebte nicht ganz glücklich mit ihrem Manne, das ſollte dem Vater verborgen bleiben, ich mußte Schieds¬ richter ſeyn, und konnte es um ſo eher, da mein Schwager Zutrauen zu mir hatte, und beyde wirklich gute Menſchen waren, nur daß beyde, anſtatt einander nachzuſehen, mit einander rechteten, und aus Begierde, völlig mit einander überein zu leben, niemals einig werden konnten. Nun lernte ich auch die weltlichen Dinge mit Ernſt angreifen, und das ausüben, was ich ſonſt nur geſungen hatte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0356"n="350"/>
friſten. Ich genaß, und war nach meiner<lb/>
Art wohl, konnte wieder meine Pflichten,<lb/>
obgleich nur auf eine kümmerliche Weiſe, er¬<lb/>
füllen.</p><lb/><p>Meine Schweſter ward wieder guter<lb/>
Hoffnung. Mancherley Sorgen, die in ſol¬<lb/>
chen Fällen der Mutter anvertraut werden,<lb/>
wurden mir mitgetheilt; ſie lebte nicht ganz<lb/>
glücklich mit ihrem Manne, das ſollte dem<lb/>
Vater verborgen bleiben, ich mußte Schieds¬<lb/>
richter ſeyn, und konnte es um ſo eher, da<lb/>
mein Schwager Zutrauen zu mir hatte, und<lb/>
beyde wirklich gute Menſchen waren, nur<lb/>
daß beyde, anſtatt einander nachzuſehen, mit<lb/>
einander rechteten, und aus Begierde, völlig<lb/>
mit einander überein zu leben, niemals einig<lb/>
werden konnten. Nun lernte ich auch die<lb/>
weltlichen Dinge mit Ernſt angreifen, und<lb/>
das ausüben, was ich ſonſt nur geſungen<lb/>
hatte.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[350/0356]
friſten. Ich genaß, und war nach meiner
Art wohl, konnte wieder meine Pflichten,
obgleich nur auf eine kümmerliche Weiſe, er¬
füllen.
Meine Schweſter ward wieder guter
Hoffnung. Mancherley Sorgen, die in ſol¬
chen Fällen der Mutter anvertraut werden,
wurden mir mitgetheilt; ſie lebte nicht ganz
glücklich mit ihrem Manne, das ſollte dem
Vater verborgen bleiben, ich mußte Schieds¬
richter ſeyn, und konnte es um ſo eher, da
mein Schwager Zutrauen zu mir hatte, und
beyde wirklich gute Menſchen waren, nur
daß beyde, anſtatt einander nachzuſehen, mit
einander rechteten, und aus Begierde, völlig
mit einander überein zu leben, niemals einig
werden konnten. Nun lernte ich auch die
weltlichen Dinge mit Ernſt angreifen, und
das ausüben, was ich ſonſt nur geſungen
hatte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/356>, abgerufen am 04.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.