Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

son alles giebt, so giebt der Bürger durch
seine Persönlichkeit nichts und soll nichts ge¬
ben. Jener darf und soll scheinen; dieser
soll nur seyn, und was er scheinen will ist
lächerlich oder abgeschmackt. Jener soll thun
und wirken, dieser soll leisten und schaffen;
er soll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um
brauchbar zu werden, und es wird schon
voraus gesetzt, daß in seinem Wesen keine
Harmonie sey, noch seyn dürfe, weil er, um
sich auf Eine Weise brauchbar zu machen,
alles übrige vernachläßigen muß.

An diesem Unterschiede ist nicht etwa die
Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬
bigkeit der Bürger, sondern die Verfassung
der Gesellschaft selbst Schuld; ob sich daran
einmal was ändern wird und was sich än¬
dern wird, bekümmert mich wenig; genug,
ich habe, wie die Sachen jetzt stehen, an
mich selbst zu denken, und wie ich mich selbst

und

ſon alles giebt, ſo giebt der Bürger durch
ſeine Perſönlichkeit nichts und ſoll nichts ge¬
ben. Jener darf und ſoll ſcheinen; dieſer
ſoll nur ſeyn, und was er ſcheinen will iſt
lächerlich oder abgeſchmackt. Jener ſoll thun
und wirken, dieſer ſoll leiſten und ſchaffen;
er ſoll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um
brauchbar zu werden, und es wird ſchon
voraus geſetzt, daß in ſeinem Weſen keine
Harmonie ſey, noch ſeyn dürfe, weil er, um
ſich auf Eine Weiſe brauchbar zu machen,
alles übrige vernachläßigen muß.

An dieſem Unterſchiede iſt nicht etwa die
Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬
bigkeit der Bürger, ſondern die Verfaſſung
der Geſellſchaft ſelbſt Schuld; ob ſich daran
einmal was ändern wird und was ſich än¬
dern wird, bekümmert mich wenig; genug,
ich habe, wie die Sachen jetzt ſtehen, an
mich ſelbſt zu denken, und wie ich mich ſelbſt

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0038" n="32"/>
&#x017F;on alles giebt, &#x017F;o giebt der Bürger durch<lb/>
&#x017F;eine Per&#x017F;önlichkeit nichts und &#x017F;oll nichts ge¬<lb/>
ben. Jener darf und &#x017F;oll &#x017F;cheinen; die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;oll nur &#x017F;eyn, und was er &#x017F;cheinen will i&#x017F;t<lb/>
lächerlich oder abge&#x017F;chmackt. Jener &#x017F;oll thun<lb/>
und wirken, die&#x017F;er &#x017F;oll lei&#x017F;ten und &#x017F;chaffen;<lb/>
er &#x017F;oll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um<lb/>
brauchbar zu werden, und es wird &#x017F;chon<lb/>
voraus ge&#x017F;etzt, daß in &#x017F;einem We&#x017F;en keine<lb/>
Harmonie &#x017F;ey, noch &#x017F;eyn dürfe, weil er, um<lb/>
&#x017F;ich auf Eine Wei&#x017F;e brauchbar zu machen,<lb/>
alles übrige vernachläßigen muß.</p><lb/>
            <p>An die&#x017F;em Unter&#x017F;chiede i&#x017F;t nicht etwa die<lb/>
Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬<lb/>
bigkeit der Bürger, &#x017F;ondern die Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;elb&#x017F;t Schuld; ob &#x017F;ich daran<lb/>
einmal was ändern wird und was &#x017F;ich än¬<lb/>
dern wird, bekümmert mich wenig; genug,<lb/>
ich habe, wie die Sachen jetzt &#x017F;tehen, an<lb/>
mich &#x017F;elb&#x017F;t zu denken, und wie ich mich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0038] ſon alles giebt, ſo giebt der Bürger durch ſeine Perſönlichkeit nichts und ſoll nichts ge¬ ben. Jener darf und ſoll ſcheinen; dieſer ſoll nur ſeyn, und was er ſcheinen will iſt lächerlich oder abgeſchmackt. Jener ſoll thun und wirken, dieſer ſoll leiſten und ſchaffen; er ſoll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um brauchbar zu werden, und es wird ſchon voraus geſetzt, daß in ſeinem Weſen keine Harmonie ſey, noch ſeyn dürfe, weil er, um ſich auf Eine Weiſe brauchbar zu machen, alles übrige vernachläßigen muß. An dieſem Unterſchiede iſt nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬ bigkeit der Bürger, ſondern die Verfaſſung der Geſellſchaft ſelbſt Schuld; ob ſich daran einmal was ändern wird und was ſich än¬ dern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt ſtehen, an mich ſelbſt zu denken, und wie ich mich ſelbſt und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/38
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/38>, abgerufen am 09.11.2024.