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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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behauptete, man bringe nicht den ganzen
Stamm auf den Tisch, der Künstler müsse
goldne Äpfel in silbernen Schalen seinen Gä¬
sten reichen. Sie erschöpften sich in Gleich¬
nissen, und ihre Meynungen schienen sich im¬
mer weiter von einander zu entfernen.

Gar verzweifeln wollte unser Freund,
als Serlo ihm einst nach langem Streit das
einfachste Mittel anrieth, sich kurz zu resol¬
viren, die Feder zu ergreifen und in dem
Trauerspiele, was eben nicht gehen wolle
noch könne, abzustreichen, mehrere Personen
in Eine zu drängen, und wenn er mit die¬
ser Art noch nicht bekannt genug sey, oder
noch nicht Herz genug dazu habe, so solle er
ihm die Arbeit überlassen, und er wolle bald
fertig seyn.

Das ist nicht unserer Abrede gemäß, ver¬
setzte Wilhelm. Wie können Sie bei so viel
Geschmack so leichtsinnig seyn?

behauptete, man bringe nicht den ganzen
Stamm auf den Tiſch, der Künſtler müſſe
goldne Äpfel in ſilbernen Schalen ſeinen Gä¬
ſten reichen. Sie erſchöpften ſich in Gleich¬
niſſen, und ihre Meynungen ſchienen ſich im¬
mer weiter von einander zu entfernen.

Gar verzweifeln wollte unſer Freund,
als Serlo ihm einſt nach langem Streit das
einfachſte Mittel anrieth, ſich kurz zu reſol¬
viren, die Feder zu ergreifen und in dem
Trauerſpiele, was eben nicht gehen wolle
noch könne, abzuſtreichen, mehrere Perſonen
in Eine zu drängen, und wenn er mit die¬
ſer Art noch nicht bekannt genug ſey, oder
noch nicht Herz genug dazu habe, ſo ſolle er
ihm die Arbeit überlaſſen, und er wolle bald
fertig ſeyn.

Das iſt nicht unſerer Abrede gemäß, ver¬
ſetzte Wilhelm. Wie können Sie bei ſo viel
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[40/0046] behauptete, man bringe nicht den ganzen Stamm auf den Tiſch, der Künſtler müſſe goldne Äpfel in ſilbernen Schalen ſeinen Gä¬ ſten reichen. Sie erſchöpften ſich in Gleich¬ niſſen, und ihre Meynungen ſchienen ſich im¬ mer weiter von einander zu entfernen. Gar verzweifeln wollte unſer Freund, als Serlo ihm einſt nach langem Streit das einfachſte Mittel anrieth, ſich kurz zu reſol¬ viren, die Feder zu ergreifen und in dem Trauerſpiele, was eben nicht gehen wolle noch könne, abzuſtreichen, mehrere Perſonen in Eine zu drängen, und wenn er mit die¬ ſer Art noch nicht bekannt genug ſey, oder noch nicht Herz genug dazu habe, ſo ſolle er ihm die Arbeit überlaſſen, und er wolle bald fertig ſeyn. Das iſt nicht unſerer Abrede gemäß, ver¬ ſetzte Wilhelm. Wie können Sie bei ſo viel Geſchmack ſo leichtſinnig ſeyn?

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/46>, abgerufen am 27.11.2024.