Brief. Hier sind Marianens letzte Worte, sagte sie.
Sie ist todt! rief er aus.
Todt! sagte die Alte; möchte ich Ihnen doch alle Vorwürfe ersparen können.
Überrascht und verwirrt erbrach Wilhelm den Brief; er hatte aber kaum die ersten Worte gelesen, als ihn ein bittrer Schmerz ergriff, er ließ den Brief fallen, stürzte auf eine Rasenbank, und blieb eine Zeit lang liegen. Mignon bemühte sich um ihn. In¬ dessen hatte Felix den Brief aufgehoben, und zerrte seine Gespielinn so lange, bis diese nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas. Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm war genöthigt sie zweymal zu hören. "Wenn dieses Blatt jemals zu Dir kommt, so be¬ daure Deine unglückliche Geliebte, Deine Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe, dessen Geburt ich nur wenige Tage überlebe,
ist
Brief. Hier ſind Marianens letzte Worte, ſagte ſie.
Sie iſt todt! rief er aus.
Todt! ſagte die Alte; möchte ich Ihnen doch alle Vorwürfe erſparen können.
Überraſcht und verwirrt erbrach Wilhelm den Brief; er hatte aber kaum die erſten Worte geleſen, als ihn ein bittrer Schmerz ergriff, er ließ den Brief fallen, ſtürzte auf eine Raſenbank, und blieb eine Zeit lang liegen. Mignon bemühte ſich um ihn. In¬ deſſen hatte Felix den Brief aufgehoben, und zerrte ſeine Geſpielinn ſo lange, bis dieſe nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas. Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm war genöthigt ſie zweymal zu hören. »Wenn dieſes Blatt jemals zu Dir kommt, ſo be¬ daure Deine unglückliche Geliebte, Deine Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe, deſſen Geburt ich nur wenige Tage überlebe,
iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0148"n="144"/>
Brief. Hier ſind Marianens letzte Worte,<lb/>ſagte ſie.</p><lb/><p>Sie iſt todt! rief er aus.</p><lb/><p>Todt! ſagte die Alte; möchte ich Ihnen<lb/>
doch alle Vorwürfe erſparen können.</p><lb/><p>Überraſcht und verwirrt erbrach Wilhelm<lb/>
den Brief; er hatte aber kaum die erſten<lb/>
Worte geleſen, als ihn ein bittrer Schmerz<lb/>
ergriff, er ließ den Brief fallen, ſtürzte auf<lb/>
eine Raſenbank, und blieb eine Zeit lang<lb/>
liegen. Mignon bemühte ſich um ihn. In¬<lb/>
deſſen hatte Felix den Brief aufgehoben, und<lb/>
zerrte ſeine Geſpielinn ſo lange, bis dieſe<lb/>
nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas.<lb/>
Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm<lb/>
war genöthigt ſie zweymal zu hören. »Wenn<lb/>
dieſes Blatt jemals zu Dir kommt, ſo be¬<lb/>
daure Deine unglückliche Geliebte, Deine<lb/>
Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe,<lb/>
deſſen Geburt ich nur wenige Tage überlebe,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">iſt<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[144/0148]
Brief. Hier ſind Marianens letzte Worte,
ſagte ſie.
Sie iſt todt! rief er aus.
Todt! ſagte die Alte; möchte ich Ihnen
doch alle Vorwürfe erſparen können.
Überraſcht und verwirrt erbrach Wilhelm
den Brief; er hatte aber kaum die erſten
Worte geleſen, als ihn ein bittrer Schmerz
ergriff, er ließ den Brief fallen, ſtürzte auf
eine Raſenbank, und blieb eine Zeit lang
liegen. Mignon bemühte ſich um ihn. In¬
deſſen hatte Felix den Brief aufgehoben, und
zerrte ſeine Geſpielinn ſo lange, bis dieſe
nachgab, und zu ihm kniete und ihm vorlas.
Felix wiederholte die Worte, und Wilhelm
war genöthigt ſie zweymal zu hören. »Wenn
dieſes Blatt jemals zu Dir kommt, ſo be¬
daure Deine unglückliche Geliebte, Deine
Liebe hat ihr den Tod gegeben, der Knabe,
deſſen Geburt ich nur wenige Tage überlebe,
iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/148>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.