Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

soll man denken und für mich ist wohl jetzt
nichts näheres als der traurige Auftrag, den
ich ausrichten soll. Laß sehen, ob ich die Re¬
de noch ganz im Gedächtniß habe, die den
grausamen Freund beschämen soll?

Er fing darauf an, sich dieses Kunstwerk
vorzusagen, es fehlte ihm auch nicht eine
Sylbe, und je mehr ihm sein Gedächtniß zu
statten kam, desto mehr wuchs seine Leiden¬
schaft und sein Muth. Aureliens Leiden und
Tod waren lebhaft vor seiner Seele gegen¬
wärtig.

Geist meiner Freundin! rief er aus, um¬
schwebe mich! und wenn es dir möglich ist,
so gieb mir ein Zeichen, daß du besänftigt,
daß du versöhnt seyst.

Unter diesen Worten und Gedanken war
er auf die Höhe des Berges gekommen, und
sah an dessen Abhang, an der andern Seite,
ein wunderliches Gebäude liegen, das er so¬

ſoll man denken und für mich iſt wohl jetzt
nichts näheres als der traurige Auftrag, den
ich ausrichten ſoll. Laß ſehen, ob ich die Re¬
de noch ganz im Gedächtniß habe, die den
grauſamen Freund beſchämen ſoll?

Er fing darauf an, ſich dieſes Kunſtwerk
vorzuſagen, es fehlte ihm auch nicht eine
Sylbe, und je mehr ihm ſein Gedächtniß zu
ſtatten kam, deſto mehr wuchs ſeine Leiden¬
ſchaft und ſein Muth. Aureliens Leiden und
Tod waren lebhaft vor ſeiner Seele gegen¬
wärtig.

Geiſt meiner Freundin! rief er aus, um¬
ſchwebe mich! und wenn es dir möglich iſt,
ſo gieb mir ein Zeichen, daß du beſänftigt,
daß du verſöhnt ſeyſt.

Unter dieſen Worten und Gedanken war
er auf die Höhe des Berges gekommen, und
ſah an deſſen Abhang, an der andern Seite,
ein wunderliches Gebäude liegen, das er ſo¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0015" n="11"/>
&#x017F;oll man denken und für mich i&#x017F;t wohl jetzt<lb/>
nichts näheres als der traurige Auftrag, den<lb/>
ich ausrichten &#x017F;oll. Laß &#x017F;ehen, ob ich die Re¬<lb/>
de noch ganz im Gedächtniß habe, die den<lb/>
grau&#x017F;amen Freund be&#x017F;chämen &#x017F;oll?</p><lb/>
            <p>Er fing darauf an, &#x017F;ich die&#x017F;es Kun&#x017F;twerk<lb/>
vorzu&#x017F;agen, es fehlte ihm auch nicht eine<lb/>
Sylbe, und je mehr ihm &#x017F;ein Gedächtniß zu<lb/>
&#x017F;tatten kam, de&#x017F;to mehr wuchs &#x017F;eine Leiden¬<lb/>
&#x017F;chaft und &#x017F;ein Muth. Aureliens Leiden und<lb/>
Tod waren lebhaft vor &#x017F;einer Seele gegen¬<lb/>
wärtig.</p><lb/>
            <p>Gei&#x017F;t meiner Freundin! rief er aus, um¬<lb/>
&#x017F;chwebe mich! und wenn es dir möglich i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o gieb mir ein Zeichen, daß du be&#x017F;änftigt,<lb/>
daß du ver&#x017F;öhnt &#x017F;ey&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Unter die&#x017F;en Worten und Gedanken war<lb/>
er auf die Höhe des Berges gekommen, und<lb/>
&#x017F;ah an de&#x017F;&#x017F;en Abhang, an der andern Seite,<lb/>
ein wunderliches Gebäude liegen, das er &#x017F;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0015] ſoll man denken und für mich iſt wohl jetzt nichts näheres als der traurige Auftrag, den ich ausrichten ſoll. Laß ſehen, ob ich die Re¬ de noch ganz im Gedächtniß habe, die den grauſamen Freund beſchämen ſoll? Er fing darauf an, ſich dieſes Kunſtwerk vorzuſagen, es fehlte ihm auch nicht eine Sylbe, und je mehr ihm ſein Gedächtniß zu ſtatten kam, deſto mehr wuchs ſeine Leiden¬ ſchaft und ſein Muth. Aureliens Leiden und Tod waren lebhaft vor ſeiner Seele gegen¬ wärtig. Geiſt meiner Freundin! rief er aus, um¬ ſchwebe mich! und wenn es dir möglich iſt, ſo gieb mir ein Zeichen, daß du beſänftigt, daß du verſöhnt ſeyſt. Unter dieſen Worten und Gedanken war er auf die Höhe des Berges gekommen, und ſah an deſſen Abhang, an der andern Seite, ein wunderliches Gebäude liegen, das er ſo¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/15
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/15>, abgerufen am 03.12.2024.