Ich habe aber nicht bemerkt, sagte Wil¬ helm, daß Du ihm so geneigt seyst, als er noch mit uns lebte -- ich fürchtete mich vor ihm, wenn er wachte, ich konnte nur seine Augen nicht sehen, aber wenn er schlief, setzte ich mich gern zu ihm, ich wehrte ihm die Fliegen, und konnte mich nicht satt an ihm sehen. O! er hat mir in schrecklichen Augenblicken beygestanden, es weiß niemand, was ich ihm schuldig bin. Hätt' ich nur den Weg gewußt, ich wäre schon zu ihm ge¬ laufen.
Wilhelm stellte ihr die Umstände weit¬ läuftig vor, und sagte: sie sey so ein ver¬ nünftiges Kind, sie mögte doch auch diesmal seinen Wünschen folgen. -- Die Vernunft ist grausam, versetzte sie, das Herz ist besser, ich will hingehen, wohin Du willst, aber laß mir Deinen Felix.
Nach vielem Hin- und Wiederreden war
Ich habe aber nicht bemerkt, ſagte Wil¬ helm, daß Du ihm ſo geneigt ſeyſt, als er noch mit uns lebte — ich fürchtete mich vor ihm, wenn er wachte, ich konnte nur ſeine Augen nicht ſehen, aber wenn er ſchlief, ſetzte ich mich gern zu ihm, ich wehrte ihm die Fliegen, und konnte mich nicht ſatt an ihm ſehen. O! er hat mir in ſchrecklichen Augenblicken beygeſtanden, es weiß niemand, was ich ihm ſchuldig bin. Hätt’ ich nur den Weg gewußt, ich wäre ſchon zu ihm ge¬ laufen.
Wilhelm ſtellte ihr die Umſtände weit¬ läuftig vor, und ſagte: ſie ſey ſo ein ver¬ nünftiges Kind, ſie mögte doch auch diesmal ſeinen Wünſchen folgen. — Die Vernunft iſt grauſam, verſetzte ſie, das Herz iſt beſſer, ich will hingehen, wohin Du willſt, aber laß mir Deinen Felix.
Nach vielem Hin- und Wiederreden war
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Ich habe aber nicht bemerkt, ſagte Wil¬
helm, daß Du ihm ſo geneigt ſeyſt, als er
noch mit uns lebte — ich fürchtete mich vor
ihm, wenn er wachte, ich konnte nur ſeine
Augen nicht ſehen, aber wenn er ſchlief,
ſetzte ich mich gern zu ihm, ich wehrte ihm
die Fliegen, und konnte mich nicht ſatt an
ihm ſehen. O! er hat mir in ſchrecklichen
Augenblicken beygeſtanden, es weiß niemand,
was ich ihm ſchuldig bin. Hätt’ ich nur den
Weg gewußt, ich wäre ſchon zu ihm ge¬
laufen.
Wilhelm ſtellte ihr die Umſtände weit¬
läuftig vor, und ſagte: ſie ſey ſo ein ver¬
nünftiges Kind, ſie mögte doch auch diesmal
ſeinen Wünſchen folgen. — Die Vernunft
iſt grauſam, verſetzte ſie, das Herz iſt beſſer,
ich will hingehen, wohin Du willſt, aber
laß mir Deinen Felix.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/191>, abgerufen am 27.11.2024.
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