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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Langeweile abgemerkt hatte; sah ich viele
Menschen in einem engen Raum eingesperrt,
so dachte ich sie müßten in die großen Zim¬
mer mancher Häuser und Paläste einquartirt
werden. Diese Art zu sehen war bey mir
ganz natürlich, ohne die mindeste Reflexion,
so daß ich darüber, als Kind, das wunder¬
lichste Zeug von der Welt machte, und mehr
als einmal, durch die sonderbarsten Anträge,
die Menschen in Verlegenheit setzte. Noch
eine Eigenheit war es, daß ich das Geld
nur mit Mühe, und spät, als ein Mittel
die Bedürfnisse zu befriedigen, ansehen konnte,
alle meine Wohlthaten bestanden in Natu¬
ralien, und ich weiß daß oft genug über
mich gelacht worden ist. Nur der Abbe
schien mich zu verstehen, er kam mir überall
entgegen, er machte mich mit mir selbst,
mit diesen Wünschen und Neigungen bekannt,
und lehrte mich, sie zweckmäßig befriedigen.

W. Meisters Lehrj. 4. T

Langeweile abgemerkt hatte; ſah ich viele
Menſchen in einem engen Raum eingeſperrt,
ſo dachte ich ſie müßten in die großen Zim¬
mer mancher Häuſer und Paläſte einquartirt
werden. Dieſe Art zu ſehen war bey mir
ganz natürlich, ohne die mindeſte Reflexion,
ſo daß ich darüber, als Kind, das wunder¬
lichſte Zeug von der Welt machte, und mehr
als einmal, durch die ſonderbarſten Anträge,
die Menſchen in Verlegenheit ſetzte. Noch
eine Eigenheit war es, daß ich das Geld
nur mit Mühe, und ſpät, als ein Mittel
die Bedürfniſſe zu befriedigen, anſehen konnte,
alle meine Wohlthaten beſtanden in Natu¬
ralien, und ich weiß daß oft genug über
mich gelacht worden iſt. Nur der Abbé
ſchien mich zu verſtehen, er kam mir überall
entgegen, er machte mich mit mir ſelbſt,
mit dieſen Wünſchen und Neigungen bekannt,
und lehrte mich, ſie zweckmäßig befriedigen.

W. Meiſters Lehrj. 4. T
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[289/0293] Langeweile abgemerkt hatte; ſah ich viele Menſchen in einem engen Raum eingeſperrt, ſo dachte ich ſie müßten in die großen Zim¬ mer mancher Häuſer und Paläſte einquartirt werden. Dieſe Art zu ſehen war bey mir ganz natürlich, ohne die mindeſte Reflexion, ſo daß ich darüber, als Kind, das wunder¬ lichſte Zeug von der Welt machte, und mehr als einmal, durch die ſonderbarſten Anträge, die Menſchen in Verlegenheit ſetzte. Noch eine Eigenheit war es, daß ich das Geld nur mit Mühe, und ſpät, als ein Mittel die Bedürfniſſe zu befriedigen, anſehen konnte, alle meine Wohlthaten beſtanden in Natu¬ ralien, und ich weiß daß oft genug über mich gelacht worden iſt. Nur der Abbé ſchien mich zu verſtehen, er kam mir überall entgegen, er machte mich mit mir ſelbſt, mit dieſen Wünſchen und Neigungen bekannt, und lehrte mich, ſie zweckmäßig befriedigen. W. Meiſters Lehrj. 4. T

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/293>, abgerufen am 22.11.2024.