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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Wilhelmen zu gewöhnen, ihr Herz gegen
ihn aufzuschließen und überhaupt heiterer
und lebenslustiger zu werden schien. Sie
hing sich, beym Spazierengehen, da sie leicht
müde ward, gern an seinen Arm. Nun,
sagte sie, Mignon klettert und springt nicht
mehr, und doch fühlt er noch immer die Be¬
gierde über die Gipfel der Berge wegzuspa¬
zieren, von einem Hause aufs andere, von
einem Baume auf den andern zu schreiten.
Wie beneidenswerth sind die Vögel, beson¬
ders wenn sie so artig und vertraulich ihre
Nester bauen.

Es ward nun bald zur Gewohnheit, daß
Mignon seinen Freund mehr als einmal in
den Garten lud. War dieser beschäftigt oder
nicht zu finden, so mußte Felix die Stelle
vertreten, und wenn das gute Mädchen in
manchen Augenblicken ganz von der Erde
los schien, so hielt sie sich in andern gleich¬

Wilhelmen zu gewöhnen, ihr Herz gegen
ihn aufzuſchließen und überhaupt heiterer
und lebensluſtiger zu werden ſchien. Sie
hing ſich, beym Spazierengehen, da ſie leicht
müde ward, gern an ſeinen Arm. Nun,
ſagte ſie, Mignon klettert und ſpringt nicht
mehr, und doch fühlt er noch immer die Be¬
gierde über die Gipfel der Berge wegzuſpa¬
zieren, von einem Hauſe aufs andere, von
einem Baume auf den andern zu ſchreiten.
Wie beneidenswerth ſind die Vögel, beſon¬
ders wenn ſie ſo artig und vertraulich ihre
Neſter bauen.

Es ward nun bald zur Gewohnheit, daß
Mignon ſeinen Freund mehr als einmal in
den Garten lud. War dieſer beſchäftigt oder
nicht zu finden, ſo mußte Felix die Stelle
vertreten, und wenn das gute Mädchen in
manchen Augenblicken ganz von der Erde
los ſchien, ſo hielt ſie ſich in andern gleich¬

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[292/0296] Wilhelmen zu gewöhnen, ihr Herz gegen ihn aufzuſchließen und überhaupt heiterer und lebensluſtiger zu werden ſchien. Sie hing ſich, beym Spazierengehen, da ſie leicht müde ward, gern an ſeinen Arm. Nun, ſagte ſie, Mignon klettert und ſpringt nicht mehr, und doch fühlt er noch immer die Be¬ gierde über die Gipfel der Berge wegzuſpa¬ zieren, von einem Hauſe aufs andere, von einem Baume auf den andern zu ſchreiten. Wie beneidenswerth ſind die Vögel, beſon¬ ders wenn ſie ſo artig und vertraulich ihre Neſter bauen. Es ward nun bald zur Gewohnheit, daß Mignon ſeinen Freund mehr als einmal in den Garten lud. War dieſer beſchäftigt oder nicht zu finden, ſo mußte Felix die Stelle vertreten, und wenn das gute Mädchen in manchen Augenblicken ganz von der Erde los ſchien, ſo hielt ſie ſich in andern gleich¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/296>, abgerufen am 22.11.2024.