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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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rückt, der Traum, wie ich mit meinem neuen
Freund zu leben gedachte, steht noch ganz
gegenwärtig vor mir. Achtet man mich so
wenig, daß man glaubt, es sey so was
leichtes diesen mit jenem aus dem Stegreife
wieder umzutauschen.

Ich verlasse mich auf Sie, sagte Natalie
zu Wilhelmen, indem sie ihm den Brief
Theresens gab, Sie entfliehen mir nicht.
Bedenken Sie, daß Sie das Glück meines
Lebens in Ihrer Hand haben! Mein Da¬
seyn ist mit dem Daseyn meines Bruders so
innig verbunden und verwurzelt, daß er
keine Schmerzen fühlen kann, die ich nicht
empfinde, keine Freude, die nicht auch mein
Glück macht. Ja ich kann wohl sagen, daß
ich allein durch ihn empfunden habe, daß
das Herz gerührt und erhoben, daß auf der
Welt Freude, Liebe und ein Gefühl seyn
kann, das über alles Bedürfniß hinaus
befriedigt.

rückt, der Traum, wie ich mit meinem neuen
Freund zu leben gedachte, ſteht noch ganz
gegenwärtig vor mir. Achtet man mich ſo
wenig, daß man glaubt, es ſey ſo was
leichtes dieſen mit jenem aus dem Stegreife
wieder umzutauſchen.

Ich verlaſſe mich auf Sie, ſagte Natalie
zu Wilhelmen, indem ſie ihm den Brief
Thereſens gab, Sie entfliehen mir nicht.
Bedenken Sie, daß Sie das Glück meines
Lebens in Ihrer Hand haben! Mein Da¬
ſeyn iſt mit dem Daſeyn meines Bruders ſo
innig verbunden und verwurzelt, daß er
keine Schmerzen fühlen kann, die ich nicht
empfinde, keine Freude, die nicht auch mein
Glück macht. Ja ich kann wohl ſagen, daß
ich allein durch ihn empfunden habe, daß
das Herz gerührt und erhoben, daß auf der
Welt Freude, Liebe und ein Gefühl ſeyn
kann, das über alles Bedürfniß hinaus
befriedigt.

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[318/0322] rückt, der Traum, wie ich mit meinem neuen Freund zu leben gedachte, ſteht noch ganz gegenwärtig vor mir. Achtet man mich ſo wenig, daß man glaubt, es ſey ſo was leichtes dieſen mit jenem aus dem Stegreife wieder umzutauſchen. Ich verlaſſe mich auf Sie, ſagte Natalie zu Wilhelmen, indem ſie ihm den Brief Thereſens gab, Sie entfliehen mir nicht. Bedenken Sie, daß Sie das Glück meines Lebens in Ihrer Hand haben! Mein Da¬ ſeyn iſt mit dem Daſeyn meines Bruders ſo innig verbunden und verwurzelt, daß er keine Schmerzen fühlen kann, die ich nicht empfinde, keine Freude, die nicht auch mein Glück macht. Ja ich kann wohl ſagen, daß ich allein durch ihn empfunden habe, daß das Herz gerührt und erhoben, daß auf der Welt Freude, Liebe und ein Gefühl ſeyn kann, das über alles Bedürfniß hinaus befriedigt.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/322>, abgerufen am 22.11.2024.