Therese war Natalien nachgegangen, Frie¬ drich zog den Arzt vor das große Gemälde, hielt eine lächerliche Lobrede auf die Medi¬ cin, und schlich davon.
Lothario hatte bisher in einer Fensterver¬ tiefung gestanden, und sah, ohne sich zu rühren, in den Garten hinunter. Wilhelm war in der schrecklichsten Lage. Selbst, da er sich nun mit seinem Freunde allein sah, blieb er eine Zeit lang still, er überlief mit flüchtigem Blick seine Geschichte, und sah zuletzt mit Schaudern auf seinen gegenwär¬ tigen Zustand, endlich sprang er auf und rief: bin ich Schuld an dem, was vorgeht, an dem, was mir und Ihnen begegnet, so strafen Sie mich! Zu meinen übrigen Lei¬ den entziehen Sie mir Ihre Freundschaft, und lassen Sie mich ohne Trost in die weite Welt hinaus gehen, in der ich mich lange hätte verlieren sollen. Sehen Sie aber in mir
Thereſe war Natalien nachgegangen, Frie¬ drich zog den Arzt vor das große Gemälde, hielt eine lächerliche Lobrede auf die Medi¬ cin, und ſchlich davon.
Lothario hatte bisher in einer Fenſterver¬ tiefung geſtanden, und ſah, ohne ſich zu rühren, in den Garten hinunter. Wilhelm war in der ſchrecklichſten Lage. Selbſt, da er ſich nun mit ſeinem Freunde allein ſah, blieb er eine Zeit lang ſtill, er überlief mit flüchtigem Blick ſeine Geſchichte, und ſah zuletzt mit Schaudern auf ſeinen gegenwär¬ tigen Zuſtand, endlich ſprang er auf und rief: bin ich Schuld an dem, was vorgeht, an dem, was mir und Ihnen begegnet, ſo ſtrafen Sie mich! Zu meinen übrigen Lei¬ den entziehen Sie mir Ihre Freundſchaft, und laſſen Sie mich ohne Troſt in die weite Welt hinaus gehen, in der ich mich lange hätte verlieren ſollen. Sehen Sie aber in mir
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Thereſe war Natalien nachgegangen, Frie¬
drich zog den Arzt vor das große Gemälde,
hielt eine lächerliche Lobrede auf die Medi¬
cin, und ſchlich davon.
Lothario hatte bisher in einer Fenſterver¬
tiefung geſtanden, und ſah, ohne ſich zu
rühren, in den Garten hinunter. Wilhelm
war in der ſchrecklichſten Lage. Selbſt, da
er ſich nun mit ſeinem Freunde allein ſah,
blieb er eine Zeit lang ſtill, er überlief mit
flüchtigem Blick ſeine Geſchichte, und ſah
zuletzt mit Schaudern auf ſeinen gegenwär¬
tigen Zuſtand, endlich ſprang er auf und
rief: bin ich Schuld an dem, was vorgeht,
an dem, was mir und Ihnen begegnet, ſo
ſtrafen Sie mich! Zu meinen übrigen Lei¬
den entziehen Sie mir Ihre Freundſchaft,
und laſſen Sie mich ohne Troſt in die weite
Welt hinaus gehen, in der ich mich lange
hätte verlieren ſollen. Sehen Sie aber in mir
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/502>, abgerufen am 22.11.2024.
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