Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

als hätte ich ihr einen so werthen Liebhaber
geraubt. Aber auch wie viele tausend Thrä¬
nen und Schmerzen hat mich diese Liebe
schon gekostet; erst sahen wir uns nur zu¬
weilen am dritten Orte verstohlen, aber lange
konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in
seiner Gegenwart war ich glücklich, ganz
glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬
nes Auge, keinen ruhigen Pulsschlag. Einst
verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬
zweiflung, machte mich auf den Weg, und
überraschte ihn hier. Er nahm mich liebevoll
auf, und wäre nicht dieser unglückseelige
Handel dazwischen gekommen, so hätte ich
ein himmlisches Leben geführt; und was ich
ausgestanden habe, seitdem er in Gefahr ist,
seitdem er leidet, sag ich nicht, und noch in
diesem Augenblicke mache ich mir lebhafte
Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von
ihm habe entfernen können.

als hätte ich ihr einen ſo werthen Liebhaber
geraubt. Aber auch wie viele tauſend Thrä¬
nen und Schmerzen hat mich dieſe Liebe
ſchon gekoſtet; erſt ſahen wir uns nur zu¬
weilen am dritten Orte verſtohlen, aber lange
konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in
ſeiner Gegenwart war ich glücklich, ganz
glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬
nes Auge, keinen ruhigen Pulsſchlag. Einſt
verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬
zweiflung, machte mich auf den Weg, und
überraſchte ihn hier. Er nahm mich liebevoll
auf, und wäre nicht dieſer unglückſeelige
Handel dazwiſchen gekommen, ſo hätte ich
ein himmliſches Leben geführt; und was ich
ausgeſtanden habe, ſeitdem er in Gefahr iſt,
ſeitdem er leidet, ſag ich nicht, und noch in
dieſem Augenblicke mache ich mir lebhafte
Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von
ihm habe entfernen können.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0063" n="59"/>
als hätte ich ihr einen &#x017F;o werthen Liebhaber<lb/>
geraubt. Aber auch wie viele tau&#x017F;end Thrä¬<lb/>
nen und Schmerzen hat mich die&#x017F;e Liebe<lb/>
&#x017F;chon geko&#x017F;tet; er&#x017F;t &#x017F;ahen wir uns nur zu¬<lb/>
weilen am dritten Orte ver&#x017F;tohlen, aber lange<lb/>
konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in<lb/>
&#x017F;einer Gegenwart war ich glücklich, ganz<lb/>
glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬<lb/>
nes Auge, keinen ruhigen Puls&#x017F;chlag. Ein&#x017F;t<lb/>
verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬<lb/>
zweiflung, machte mich auf den Weg, und<lb/>
überra&#x017F;chte ihn hier. Er nahm mich liebevoll<lb/>
auf, und wäre nicht die&#x017F;er unglück&#x017F;eelige<lb/>
Handel dazwi&#x017F;chen gekommen, &#x017F;o hätte ich<lb/>
ein himmli&#x017F;ches Leben geführt; und was ich<lb/>
ausge&#x017F;tanden habe, &#x017F;eitdem er in Gefahr i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;eitdem er leidet, &#x017F;ag ich nicht, und noch in<lb/>
die&#x017F;em Augenblicke mache ich mir lebhafte<lb/>
Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von<lb/>
ihm habe entfernen können.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0063] als hätte ich ihr einen ſo werthen Liebhaber geraubt. Aber auch wie viele tauſend Thrä¬ nen und Schmerzen hat mich dieſe Liebe ſchon gekoſtet; erſt ſahen wir uns nur zu¬ weilen am dritten Orte verſtohlen, aber lange konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in ſeiner Gegenwart war ich glücklich, ganz glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬ nes Auge, keinen ruhigen Pulsſchlag. Einſt verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬ zweiflung, machte mich auf den Weg, und überraſchte ihn hier. Er nahm mich liebevoll auf, und wäre nicht dieſer unglückſeelige Handel dazwiſchen gekommen, ſo hätte ich ein himmliſches Leben geführt; und was ich ausgeſtanden habe, ſeitdem er in Gefahr iſt, ſeitdem er leidet, ſag ich nicht, und noch in dieſem Augenblicke mache ich mir lebhafte Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von ihm habe entfernen können.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/63
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/63>, abgerufen am 28.11.2024.