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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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frau die Mütter und Tanten vorstellen, in¬
deß meine Mutter sich die ersten Liebha¬
berinnen, Heldinnen und Schäferinnen aller
Art vorbehielt. Ich kann Ihnen gar nicht
sagen, wie lächerlich mir es vorkam, wenn
die Menschen, die ich alle recht gut kannte,
sich verkleidet hatten, da droben standen, und
für etwas anders als sie waren gehalten
seyn wollten. Ich sah immer nur meine
Mutter und Lydien, diesen Baron und jenen
Secretair, sie mochten nun als Fürsten und
Grafen, oder als Bauern erscheinen, und ich
konnte nicht begreifen, wie sie mir zumuthen
wollten zu glauben, daß es ihnen wohl oder
wehe sey, daß sie verliebt oder gleichgültig,
geizig oder freygebig seyen, da ich doch meist
von dem Gegentheile genau unterrichtet war.
Deswegen blieb ich auch sehr selten unter den
Zuschauern, ich putzte ihnen immer die Lich¬
ter, damit ich nur etwas zu thun hatte, be¬

frau die Mütter und Tanten vorſtellen, in¬
deß meine Mutter ſich die erſten Liebha¬
berinnen, Heldinnen und Schäferinnen aller
Art vorbehielt. Ich kann Ihnen gar nicht
ſagen, wie lächerlich mir es vorkam, wenn
die Menſchen, die ich alle recht gut kannte,
ſich verkleidet hatten, da droben ſtanden, und
für etwas anders als ſie waren gehalten
ſeyn wollten. Ich ſah immer nur meine
Mutter und Lydien, dieſen Baron und jenen
Secretair, ſie mochten nun als Fürſten und
Grafen, oder als Bauern erſcheinen, und ich
konnte nicht begreifen, wie ſie mir zumuthen
wollten zu glauben, daß es ihnen wohl oder
wehe ſey, daß ſie verliebt oder gleichgültig,
geizig oder freygebig ſeyen, da ich doch meiſt
von dem Gegentheile genau unterrichtet war.
Deswegen blieb ich auch ſehr ſelten unter den
Zuſchauern, ich putzte ihnen immer die Lich¬
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[79/0083] frau die Mütter und Tanten vorſtellen, in¬ deß meine Mutter ſich die erſten Liebha¬ berinnen, Heldinnen und Schäferinnen aller Art vorbehielt. Ich kann Ihnen gar nicht ſagen, wie lächerlich mir es vorkam, wenn die Menſchen, die ich alle recht gut kannte, ſich verkleidet hatten, da droben ſtanden, und für etwas anders als ſie waren gehalten ſeyn wollten. Ich ſah immer nur meine Mutter und Lydien, dieſen Baron und jenen Secretair, ſie mochten nun als Fürſten und Grafen, oder als Bauern erſcheinen, und ich konnte nicht begreifen, wie ſie mir zumuthen wollten zu glauben, daß es ihnen wohl oder wehe ſey, daß ſie verliebt oder gleichgültig, geizig oder freygebig ſeyen, da ich doch meiſt von dem Gegentheile genau unterrichtet war. Deswegen blieb ich auch ſehr ſelten unter den Zuſchauern, ich putzte ihnen immer die Lich¬ ter, damit ich nur etwas zu thun hatte, be¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/83>, abgerufen am 26.11.2024.