Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Nicht bloß um mit dem größten Namen unserer Dichterwelt zu beginnen, sondern ungezwungen und mit gutem Rechte stellen wir die "Neue Melusine" voran. Sie scheint nur ein Märchen zu sein, in Wirklichkeit ist sie eine Novelle. Die Goethe'schen Märchen sind überhaupt nicht Märchen im reinen und erst dem neueren Verständniß erschlossenen Sinn des Worts: an die Rococozeit anklingend, aus der sie stammen, sind sie ein zerfließendes Spiel mit halb versteckten, da und dort bedeutungsvoll hervortretenden und dann wieder neckisch untertauchenden Begriffen, ein wunderbar reizendes Geschlinge von Gedankenarabesken, die, wie der Dichter selbst zu verstehen giebt, an Alles und doch auch wieder an Nichts erinnern wollen. Gerade hierin nun macht die Melusine eine, fast möchte man sagen, vortheilhafte Ausnahme: sie neckt uns nicht mit verschwindenden Gebilden, sondern läßt, weil denn einmal angespielt sein soll, eine überall gleichmäßig durchschimmernde Allegorie der besten Art festhalten, indem sie -- mit einer Anmuth und Meisterschaft des Vortrags, worin sie ihren Geschwistern nicht nachsteht, vielleicht dieselben noch übertrifft, während sie als Novelle sicherlich unter den Goethe'schen den ersten Rang einnimmt -- geistreich schalkhaft das bunte Treiben der Nicht bloß um mit dem größten Namen unserer Dichterwelt zu beginnen, sondern ungezwungen und mit gutem Rechte stellen wir die „Neue Melusine“ voran. Sie scheint nur ein Märchen zu sein, in Wirklichkeit ist sie eine Novelle. Die Goethe'schen Märchen sind überhaupt nicht Märchen im reinen und erst dem neueren Verständniß erschlossenen Sinn des Worts: an die Rococozeit anklingend, aus der sie stammen, sind sie ein zerfließendes Spiel mit halb versteckten, da und dort bedeutungsvoll hervortretenden und dann wieder neckisch untertauchenden Begriffen, ein wunderbar reizendes Geschlinge von Gedankenarabesken, die, wie der Dichter selbst zu verstehen giebt, an Alles und doch auch wieder an Nichts erinnern wollen. Gerade hierin nun macht die Melusine eine, fast möchte man sagen, vortheilhafte Ausnahme: sie neckt uns nicht mit verschwindenden Gebilden, sondern läßt, weil denn einmal angespielt sein soll, eine überall gleichmäßig durchschimmernde Allegorie der besten Art festhalten, indem sie — mit einer Anmuth und Meisterschaft des Vortrags, worin sie ihren Geschwistern nicht nachsteht, vielleicht dieselben noch übertrifft, während sie als Novelle sicherlich unter den Goethe'schen den ersten Rang einnimmt — geistreich schalkhaft das bunte Treiben der <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0005"/> <div type="preface"> <p>Nicht bloß um mit dem größten Namen unserer Dichterwelt zu beginnen, sondern ungezwungen und mit gutem Rechte stellen wir die „Neue Melusine“ voran. Sie scheint nur ein Märchen zu sein, in Wirklichkeit ist sie eine Novelle.</p><lb/> <p>Die Goethe'schen Märchen sind überhaupt nicht Märchen im reinen und erst dem neueren Verständniß erschlossenen Sinn des Worts: an die Rococozeit anklingend, aus der sie stammen, sind sie ein zerfließendes Spiel mit halb versteckten, da und dort bedeutungsvoll hervortretenden und dann wieder neckisch untertauchenden Begriffen, ein wunderbar reizendes Geschlinge von Gedankenarabesken, die, wie der Dichter selbst zu verstehen giebt, an Alles und doch auch wieder an Nichts erinnern wollen.</p><lb/> <p>Gerade hierin nun macht die Melusine eine, fast möchte man sagen, vortheilhafte Ausnahme: sie neckt uns nicht mit verschwindenden Gebilden, sondern läßt, weil denn einmal angespielt sein soll, eine überall gleichmäßig durchschimmernde Allegorie der besten Art festhalten, indem sie — mit einer Anmuth und Meisterschaft des Vortrags, worin sie ihren Geschwistern nicht nachsteht, vielleicht dieselben noch übertrifft, während sie als Novelle sicherlich unter den Goethe'schen den ersten Rang einnimmt — geistreich schalkhaft das bunte Treiben der<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0005]
Nicht bloß um mit dem größten Namen unserer Dichterwelt zu beginnen, sondern ungezwungen und mit gutem Rechte stellen wir die „Neue Melusine“ voran. Sie scheint nur ein Märchen zu sein, in Wirklichkeit ist sie eine Novelle.
Die Goethe'schen Märchen sind überhaupt nicht Märchen im reinen und erst dem neueren Verständniß erschlossenen Sinn des Worts: an die Rococozeit anklingend, aus der sie stammen, sind sie ein zerfließendes Spiel mit halb versteckten, da und dort bedeutungsvoll hervortretenden und dann wieder neckisch untertauchenden Begriffen, ein wunderbar reizendes Geschlinge von Gedankenarabesken, die, wie der Dichter selbst zu verstehen giebt, an Alles und doch auch wieder an Nichts erinnern wollen.
Gerade hierin nun macht die Melusine eine, fast möchte man sagen, vortheilhafte Ausnahme: sie neckt uns nicht mit verschwindenden Gebilden, sondern läßt, weil denn einmal angespielt sein soll, eine überall gleichmäßig durchschimmernde Allegorie der besten Art festhalten, indem sie — mit einer Anmuth und Meisterschaft des Vortrags, worin sie ihren Geschwistern nicht nachsteht, vielleicht dieselben noch übertrifft, während sie als Novelle sicherlich unter den Goethe'schen den ersten Rang einnimmt — geistreich schalkhaft das bunte Treiben der
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