Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Ein Schauspiel. Leonore. Du klagst anstatt zu danken. Wenn er dich In unbedingter Freyheit lassen mag, So ehrt er dich, wie er dich ehren kann. Tasso. Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt. Leonore. Du bist nicht unnütz, eben weil du ruhst. So lange hegst du schon Verdruß und Sorge, Wie ein geliebtes Kind, an deiner Brust. Ich hab' es oft bedacht, und mag's bedenken Wie ich es will, auf diesem schönen Boden, Wohin das Glück dich zu verpflanzen schien, Gedeihst du nicht. O Tasso! -- rath' ich dir's? Sprech' ich es aus? -- Du solltest dich ent- fernen! Tasso. Verschone nicht den Kranken, lieber Arzt! Reich' ihm das Mittel, denke nicht daran, Ein Schauſpiel. Leonore. Du klagſt anſtatt zu danken. Wenn er dich In unbedingter Freyheit laſſen mag, So ehrt er dich, wie er dich ehren kann. Taſſo. Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt. Leonore. Du biſt nicht unnütz, eben weil du ruhſt. So lange hegſt du ſchon Verdruß und Sorge, Wie ein geliebtes Kind, an deiner Bruſt. Ich hab’ es oft bedacht, und mag’s bedenken Wie ich es will, auf dieſem ſchönen Boden, Wohin das Glück dich zu verpflanzen ſchien, Gedeihſt du nicht. O Taſſo! — rath’ ich dir’s? Sprech’ ich es aus? — Du ſollteſt dich ent- fernen! Taſſo. Verſchone nicht den Kranken, lieber Arzt! Reich’ ihm das Mittel, denke nicht daran, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0161" n="153"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schauſpiel</hi>.</fw><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonore</hi>.</speaker><lb/> <p>Du klagſt anſtatt zu danken. Wenn er dich<lb/> In unbedingter Freyheit laſſen mag,<lb/> So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.</p> </sp><lb/> <sp who="#TAS"> <speaker><hi rendition="#g">Taſſo</hi>.</speaker><lb/> <p>Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonore</hi>.</speaker><lb/> <p>Du biſt nicht unnütz, eben weil du ruhſt.<lb/> So lange hegſt du ſchon Verdruß und Sorge,<lb/> Wie ein geliebtes Kind, an deiner Bruſt.<lb/> Ich hab’ es oft bedacht, und mag’s bedenken<lb/> Wie ich es will, auf dieſem ſchönen Boden,<lb/> Wohin das Glück dich zu verpflanzen ſchien,<lb/> Gedeihſt du nicht. O Taſſo! — rath’ ich<lb/> dir’s?<lb/> Sprech’ ich es aus? — Du ſollteſt dich ent-<lb/> fernen!</p> </sp><lb/> <sp who="#TAS"> <speaker><hi rendition="#g">Taſſo</hi>.</speaker><lb/> <p>Verſchone nicht den Kranken, lieber Arzt!<lb/> Reich’ ihm das Mittel, denke nicht daran,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0161]
Ein Schauſpiel.
Leonore.
Du klagſt anſtatt zu danken. Wenn er dich
In unbedingter Freyheit laſſen mag,
So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.
Taſſo.
Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.
Leonore.
Du biſt nicht unnütz, eben weil du ruhſt.
So lange hegſt du ſchon Verdruß und Sorge,
Wie ein geliebtes Kind, an deiner Bruſt.
Ich hab’ es oft bedacht, und mag’s bedenken
Wie ich es will, auf dieſem ſchönen Boden,
Wohin das Glück dich zu verpflanzen ſchien,
Gedeihſt du nicht. O Taſſo! — rath’ ich
dir’s?
Sprech’ ich es aus? — Du ſollteſt dich ent-
fernen!
Taſſo.
Verſchone nicht den Kranken, lieber Arzt!
Reich’ ihm das Mittel, denke nicht daran,
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