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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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darf, die sie lieber mir in den Mund legen
mag.

Da ich nur allzuwohl weiß, wie wenig
die gute Ottilie das zu äußern im Stande ist,
was in ihr liegt und was sie vermag; so war
mir vor der öffentlichen Prüfung einigermaßen
bange, um so mehr als überhaupt dabey
keine Vorbereitung möglich ist, und auch,
wenn es nach der gewöhnlichen Weise seyn
könnte, Ottilie auf den Schein nicht vor¬
zubereiten wäre. Der Ausgang hat meine
Sorge nur zu sehr gerechtfertigt; sie hat kei¬
nen Preis erhalten und ist auch unter denen
die kein Zeugniß empfangen haben. Was soll
ich viel sagen? Im Schreiben hatten andere
kaum so wohlgeformte Buchstaben, doch viel
freyere Züge; im Rechnen waren alle schnel¬
ler, und an schwierige Aufgaben, welche sie
besser löst, kam es bey der Untersuchung nicht.
Im Französischen überparlirten und überexpo¬
nirten sie manche; in der Geschichte waren ihr

darf, die ſie lieber mir in den Mund legen
mag.

Da ich nur allzuwohl weiß, wie wenig
die gute Ottilie das zu aͤußern im Stande iſt,
was in ihr liegt und was ſie vermag; ſo war
mir vor der oͤffentlichen Pruͤfung einigermaßen
bange, um ſo mehr als uͤberhaupt dabey
keine Vorbereitung moͤglich iſt, und auch,
wenn es nach der gewoͤhnlichen Weiſe ſeyn
koͤnnte, Ottilie auf den Schein nicht vor¬
zubereiten waͤre. Der Ausgang hat meine
Sorge nur zu ſehr gerechtfertigt; ſie hat kei¬
nen Preis erhalten und iſt auch unter denen
die kein Zeugniß empfangen haben. Was ſoll
ich viel ſagen? Im Schreiben hatten andere
kaum ſo wohlgeformte Buchſtaben, doch viel
freyere Zuͤge; im Rechnen waren alle ſchnel¬
ler, und an ſchwierige Aufgaben, welche ſie
beſſer loͤſt, kam es bey der Unterſuchung nicht.
Im Franzoͤſiſchen uͤberparlirten und uͤberexpo¬
nirten ſie manche; in der Geſchichte waren ihr

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[95/0100] darf, die ſie lieber mir in den Mund legen mag. Da ich nur allzuwohl weiß, wie wenig die gute Ottilie das zu aͤußern im Stande iſt, was in ihr liegt und was ſie vermag; ſo war mir vor der oͤffentlichen Pruͤfung einigermaßen bange, um ſo mehr als uͤberhaupt dabey keine Vorbereitung moͤglich iſt, und auch, wenn es nach der gewoͤhnlichen Weiſe ſeyn koͤnnte, Ottilie auf den Schein nicht vor¬ zubereiten waͤre. Der Ausgang hat meine Sorge nur zu ſehr gerechtfertigt; ſie hat kei¬ nen Preis erhalten und iſt auch unter denen die kein Zeugniß empfangen haben. Was ſoll ich viel ſagen? Im Schreiben hatten andere kaum ſo wohlgeformte Buchſtaben, doch viel freyere Zuͤge; im Rechnen waren alle ſchnel¬ ler, und an ſchwierige Aufgaben, welche ſie beſſer loͤſt, kam es bey der Unterſuchung nicht. Im Franzoͤſiſchen uͤberparlirten und uͤberexpo¬ nirten ſie manche; in der Geſchichte waren ihr

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/100>, abgerufen am 22.11.2024.