Eduard hörte mit Entzücken, daß Ottilie noch schreibe. Sie beschäftigt sich für mich! dachte er triumphirend. Durch die Finster¬ niß ganz in sich selbst geengt sah er sie sitzen, schreiben; er glaubte zu ihr zu treten, sie zu sehen, wie sie sich nach ihm umkehrte; er fühlte ein unüberwindliches Verlangen ihr noch einmal nahe zu seyn. Von hier aber war kein Weg in das Halbgeschoß wo sie wohnte. Nun fand er sich unmittelbar an seiner Frauen Thüre, eine sonderbare Ver¬ wechselung ging in seiner Seele vor, er suchte die Thüre aufzudrehen, er fand sie verschlos¬ sen, er pochte leise an, Charlotte hörte nicht.
Sie ging in dem größeren Nebenzimmer lebhaft auf und ab. Sie wiederhohlte sich aber und abermals was sie seit jenem uner¬ warteten Vorschlag des Grafen oft genug bey sich um und um gewendet hatte. Der Haupt¬ mann schien vor ihr zu stehen. Er füllte noch das Haus, er belebte noch die Spazir¬
Eduard hoͤrte mit Entzuͤcken, daß Ottilie noch ſchreibe. Sie beſchaͤftigt ſich fuͤr mich! dachte er triumphirend. Durch die Finſter¬ niß ganz in ſich ſelbſt geengt ſah er ſie ſitzen, ſchreiben; er glaubte zu ihr zu treten, ſie zu ſehen, wie ſie ſich nach ihm umkehrte; er fuͤhlte ein unuͤberwindliches Verlangen ihr noch einmal nahe zu ſeyn. Von hier aber war kein Weg in das Halbgeſchoß wo ſie wohnte. Nun fand er ſich unmittelbar an ſeiner Frauen Thuͤre, eine ſonderbare Ver¬ wechſelung ging in ſeiner Seele vor, er ſuchte die Thuͤre aufzudrehen, er fand ſie verſchloſ¬ ſen, er pochte leiſe an, Charlotte hoͤrte nicht.
Sie ging in dem groͤßeren Nebenzimmer lebhaft auf und ab. Sie wiederhohlte ſich aber und abermals was ſie ſeit jenem uner¬ warteten Vorſchlag des Grafen oft genug bey ſich um und um gewendet hatte. Der Haupt¬ mann ſchien vor ihr zu ſtehen. Er fuͤllte noch das Haus, er belebte noch die Spazir¬
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Eduard hoͤrte mit Entzuͤcken, daß Ottilie
noch ſchreibe. Sie beſchaͤftigt ſich fuͤr mich!
dachte er triumphirend. Durch die Finſter¬
niß ganz in ſich ſelbſt geengt ſah er ſie ſitzen,
ſchreiben; er glaubte zu ihr zu treten, ſie zu
ſehen, wie ſie ſich nach ihm umkehrte; er
fuͤhlte ein unuͤberwindliches Verlangen ihr
noch einmal nahe zu ſeyn. Von hier aber
war kein Weg in das Halbgeſchoß wo ſie
wohnte. Nun fand er ſich unmittelbar an
ſeiner Frauen Thuͤre, eine ſonderbare Ver¬
wechſelung ging in ſeiner Seele vor, er ſuchte
die Thuͤre aufzudrehen, er fand ſie verſchloſ¬
ſen, er pochte leiſe an, Charlotte hoͤrte nicht.
Sie ging in dem groͤßeren Nebenzimmer
lebhaft auf und ab. Sie wiederhohlte ſich
aber und abermals was ſie ſeit jenem uner¬
warteten Vorſchlag des Grafen oft genug bey
ſich um und um gewendet hatte. Der Haupt¬
mann ſchien vor ihr zu ſtehen. Er fuͤllte
noch das Haus, er belebte noch die Spazir¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/208>, abgerufen am 21.05.2024.
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