gänge und er sollte fort, das alles sollte leer werden! Sie sagte sich alles was man sich sagen kann, ja sie anticipirte, wie man ge¬ wöhnlich pflegt, den leidigen Trost, daß auch solche Schmerzen durch die Zeit gelindert wer¬ den. Sie verwünschte die Zeit, die es braucht um sie zu lindern; sie verwünschte die todten¬ hafte Zeit, wo sie würden gelindert seyn.
Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den Thränen um so willkommner, als sie bey ihr selten statt fand. Sie warf sich auf den So¬ pha und überließ sich ganz ihrem Schmerz. Eduard seinerseits konnte von der Thüre nicht weg; er pochte nochmals, und zum dritten¬ mal etwas stärker, so daß Charlotte durch die Nachtstille es ganz deutlich vernahm und erschreckt auffuhr. Der erste Gedanke war: es könne, es müsse der Hauptmann seyn; der zweyte: das sey unmöglich! Sie hielt es für Täuschung; aber sie hatte es gehört, sie wünschte, sie fürchtete es gehört zu ha¬
gaͤnge und er ſollte fort, das alles ſollte leer werden! Sie ſagte ſich alles was man ſich ſagen kann, ja ſie anticipirte, wie man ge¬ woͤhnlich pflegt, den leidigen Troſt, daß auch ſolche Schmerzen durch die Zeit gelindert wer¬ den. Sie verwuͤnſchte die Zeit, die es braucht um ſie zu lindern; ſie verwuͤnſchte die todten¬ hafte Zeit, wo ſie wuͤrden gelindert ſeyn.
Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den Thraͤnen um ſo willkommner, als ſie bey ihr ſelten ſtatt fand. Sie warf ſich auf den So¬ pha und uͤberließ ſich ganz ihrem Schmerz. Eduard ſeinerſeits konnte von der Thuͤre nicht weg; er pochte nochmals, und zum dritten¬ mal etwas ſtaͤrker, ſo daß Charlotte durch die Nachtſtille es ganz deutlich vernahm und erſchreckt auffuhr. Der erſte Gedanke war: es koͤnne, es muͤſſe der Hauptmann ſeyn; der zweyte: das ſey unmoͤglich! Sie hielt es fuͤr Taͤuſchung; aber ſie hatte es gehoͤrt, ſie wuͤnſchte, ſie fuͤrchtete es gehoͤrt zu ha¬
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gaͤnge und er ſollte fort, das alles ſollte leer
werden! Sie ſagte ſich alles was man ſich
ſagen kann, ja ſie anticipirte, wie man ge¬
woͤhnlich pflegt, den leidigen Troſt, daß auch
ſolche Schmerzen durch die Zeit gelindert wer¬
den. Sie verwuͤnſchte die Zeit, die es braucht
um ſie zu lindern; ſie verwuͤnſchte die todten¬
hafte Zeit, wo ſie wuͤrden gelindert ſeyn.
Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den
Thraͤnen um ſo willkommner, als ſie bey ihr
ſelten ſtatt fand. Sie warf ſich auf den So¬
pha und uͤberließ ſich ganz ihrem Schmerz.
Eduard ſeinerſeits konnte von der Thuͤre nicht
weg; er pochte nochmals, und zum dritten¬
mal etwas ſtaͤrker, ſo daß Charlotte durch
die Nachtſtille es ganz deutlich vernahm und
erſchreckt auffuhr. Der erſte Gedanke war:
es koͤnne, es muͤſſe der Hauptmann ſeyn;
der zweyte: das ſey unmoͤglich! Sie hielt es
fuͤr Taͤuſchung; aber ſie hatte es gehoͤrt,
ſie wuͤnſchte, ſie fuͤrchtete es gehoͤrt zu ha¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/209>, abgerufen am 27.11.2024.
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