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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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Da Sie von Mäßigung sprechen, liebe
Tante, versetzte Ottilie; so kann ich nicht ber¬
gen, daß mir dabey die Unmäßigkeit der Män¬
ner, besonders was den Wein betrifft, ein¬
fällt. Wie oft hat es mich betrübt und ge¬
ängstigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬
ner Verstand, Klugheit, Schonung anderer,
Anmuth und Liebenswürdigkeit, selbst für meh¬
rere Stunden, verloren gingen, und oft statt
alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬
vorzubringen und zu gewähren vermag, Unheil
und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie
oft mögen dadurch gewaltsame Entschließungen
veranlaßt werden.

Charlotte gab ihr Recht; doch setzte sie
das Gespräch nicht fort: denn sie fühlte nur
zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden
wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬
wöhnlich, aber doch öfter als es wünschens¬
werth war, sein Vergnügen, seine Gesprächig¬

Da Sie von Maͤßigung ſprechen, liebe
Tante, verſetzte Ottilie; ſo kann ich nicht ber¬
gen, daß mir dabey die Unmaͤßigkeit der Maͤn¬
ner, beſonders was den Wein betrifft, ein¬
faͤllt. Wie oft hat es mich betruͤbt und ge¬
aͤngſtigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬
ner Verſtand, Klugheit, Schonung anderer,
Anmuth und Liebenswuͤrdigkeit, ſelbſt fuͤr meh¬
rere Stunden, verloren gingen, und oft ſtatt
alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬
vorzubringen und zu gewaͤhren vermag, Unheil
und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie
oft moͤgen dadurch gewaltſame Entſchließungen
veranlaßt werden.

Charlotte gab ihr Recht; doch ſetzte ſie
das Geſpraͤch nicht fort: denn ſie fuͤhlte nur
zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden
wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬
woͤhnlich, aber doch oͤfter als es wuͤnſchens¬
werth war, ſein Vergnuͤgen, ſeine Geſpraͤchig¬

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[276/0281] Da Sie von Maͤßigung ſprechen, liebe Tante, verſetzte Ottilie; ſo kann ich nicht ber¬ gen, daß mir dabey die Unmaͤßigkeit der Maͤn¬ ner, beſonders was den Wein betrifft, ein¬ faͤllt. Wie oft hat es mich betruͤbt und ge¬ aͤngſtigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬ ner Verſtand, Klugheit, Schonung anderer, Anmuth und Liebenswuͤrdigkeit, ſelbſt fuͤr meh¬ rere Stunden, verloren gingen, und oft ſtatt alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬ vorzubringen und zu gewaͤhren vermag, Unheil und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie oft moͤgen dadurch gewaltſame Entſchließungen veranlaßt werden. Charlotte gab ihr Recht; doch ſetzte ſie das Geſpraͤch nicht fort: denn ſie fuͤhlte nur zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬ woͤhnlich, aber doch oͤfter als es wuͤnſchens¬ werth war, ſein Vergnuͤgen, ſeine Geſpraͤchig¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/281>, abgerufen am 24.11.2024.