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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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lich belehren, wie es eigentlich hier mit den
Verwandtschaften gemeint sey.

Das will ich wohl gerne thun, erwiederte
der Hauptmann, gegen den sich Charlotte ge¬
wendet hatte; freylich nur so gut als ich es
vermag, wie ich es etwa vor zehn Jahren ge¬
lernt, wie ich es gelesen habe. Ob man in
der wissenschaftlichen Welt noch so darüber
denkt, ob es zu den neuern Lehren paßt,
wüßte ich nicht zu sagen.

Es ist schlimm genug, rief Eduard, daß
man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben
lernen kann. Unsre Vorfahren hielten sich an
den Unterricht, den sie in ihrer Jugend em¬
pfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre
umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode
kommen wollen.

Wir Frauen, sagte Charlotte, nehmen es
nicht so genau; und wenn ich aufrichtig seyn

lich belehren, wie es eigentlich hier mit den
Verwandtſchaften gemeint ſey.

Das will ich wohl gerne thun, erwiederte
der Hauptmann, gegen den ſich Charlotte ge¬
wendet hatte; freylich nur ſo gut als ich es
vermag, wie ich es etwa vor zehn Jahren ge¬
lernt, wie ich es geleſen habe. Ob man in
der wiſſenſchaftlichen Welt noch ſo daruͤber
denkt, ob es zu den neuern Lehren paßt,
wuͤßte ich nicht zu ſagen.

Es iſt ſchlimm genug, rief Eduard, daß
man jetzt nichts mehr fuͤr ſein ganzes Leben
lernen kann. Unſre Vorfahren hielten ſich an
den Unterricht, den ſie in ihrer Jugend em¬
pfangen; wir aber muͤſſen jetzt alle fuͤnf Jahre
umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode
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Wir Frauen, ſagte Charlotte, nehmen es
nicht ſo genau; und wenn ich aufrichtig ſeyn

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[76/0081] lich belehren, wie es eigentlich hier mit den Verwandtſchaften gemeint ſey. Das will ich wohl gerne thun, erwiederte der Hauptmann, gegen den ſich Charlotte ge¬ wendet hatte; freylich nur ſo gut als ich es vermag, wie ich es etwa vor zehn Jahren ge¬ lernt, wie ich es geleſen habe. Ob man in der wiſſenſchaftlichen Welt noch ſo daruͤber denkt, ob es zu den neuern Lehren paßt, wuͤßte ich nicht zu ſagen. Es iſt ſchlimm genug, rief Eduard, daß man jetzt nichts mehr fuͤr ſein ganzes Leben lernen kann. Unſre Vorfahren hielten ſich an den Unterricht, den ſie in ihrer Jugend em¬ pfangen; wir aber muͤſſen jetzt alle fuͤnf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen. Wir Frauen, ſagte Charlotte, nehmen es nicht ſo genau; und wenn ich aufrichtig ſeyn

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/81>, abgerufen am 23.11.2024.