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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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nen Blicken er die letzte Zeit fast ganz allein
gelebt hatte.

Die Weihnachtsfeyertage nahten sich und
es wurde ihm auf einmal klar, daß eigentlich
jene Gemäldedarstellungen durch runde Figu¬
ren von dem sogenannten Presepe ausgegan¬
gen, von der frommen Vorstellung, die man
in dieser heiligen Zeit der göttlichen Mutter
und dem Kinde widmete, wie sie in ihrer
scheinbaren Niedrigkeit erst von Hirten bald
darauf von Königen verehrt werden.

Er hatte sich die Möglichkeit eines solchen
Bildes vollkommen vergegenwärtigt. Ein schö¬
ner frischer Knabe war gefunden; an Hirten und
Hirtinnen konnte es auch nicht fehlen; aber
ohne Ottilien war die Sache nicht auszuführen.
Der junge Mann hatte sie in seinem Sinne
zur Mutter Gottes erhoben, und wenn sie es
abschlug, so war bey ihm keine Frage, daß
das Unternehmen fallen müsse. Ottilie halb

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nen Blicken er die letzte Zeit faſt ganz allein
gelebt hatte.

Die Weihnachtsfeyertage nahten ſich und
es wurde ihm auf einmal klar, daß eigentlich
jene Gemaͤldedarſtellungen durch runde Figu¬
ren von dem ſogenannten Preſepe ausgegan¬
gen, von der frommen Vorſtellung, die man
in dieſer heiligen Zeit der goͤttlichen Mutter
und dem Kinde widmete, wie ſie in ihrer
ſcheinbaren Niedrigkeit erſt von Hirten bald
darauf von Koͤnigen verehrt werden.

Er hatte ſich die Moͤglichkeit eines ſolchen
Bildes vollkommen vergegenwaͤrtigt. Ein ſchoͤ¬
ner friſcher Knabe war gefunden; an Hirten und
Hirtinnen konnte es auch nicht fehlen; aber
ohne Ottilien war die Sache nicht auszufuͤhren.
Der junge Mann hatte ſie in ſeinem Sinne
zur Mutter Gottes erhoben, und wenn ſie es
abſchlug, ſo war bey ihm keine Frage, daß
das Unternehmen fallen muͤſſe. Ottilie halb

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[115/0118] nen Blicken er die letzte Zeit faſt ganz allein gelebt hatte. Die Weihnachtsfeyertage nahten ſich und es wurde ihm auf einmal klar, daß eigentlich jene Gemaͤldedarſtellungen durch runde Figu¬ ren von dem ſogenannten Preſepe ausgegan¬ gen, von der frommen Vorſtellung, die man in dieſer heiligen Zeit der goͤttlichen Mutter und dem Kinde widmete, wie ſie in ihrer ſcheinbaren Niedrigkeit erſt von Hirten bald darauf von Koͤnigen verehrt werden. Er hatte ſich die Moͤglichkeit eines ſolchen Bildes vollkommen vergegenwaͤrtigt. Ein ſchoͤ¬ ner friſcher Knabe war gefunden; an Hirten und Hirtinnen konnte es auch nicht fehlen; aber ohne Ottilien war die Sache nicht auszufuͤhren. Der junge Mann hatte ſie in ſeinem Sinne zur Mutter Gottes erhoben, und wenn ſie es abſchlug, ſo war bey ihm keine Frage, daß das Unternehmen fallen muͤſſe. Ottilie halb 8 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/118>, abgerufen am 24.11.2024.