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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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nug, denn die Glieder der Familie sind auf
eine Weise verletzt, wofür gar kein Ersatz zu
denken ist. Sie sollen das schmerzlich süße
Gefühl entbehren, ihren Geliebten ein Tod¬
tenopfer zu bringen, die tröstliche Hoffnung
dereinst unmittelbar neben ihnen zu ruhen.

Die Sache ist nicht von der Bedeutung,
versetzte Charlotte, daß man sich deshalb durch
einen Rechtshandel beunruhigen sollte. Meine
Anstalt reut mich so wenig, daß ich die
Kirche gern, wegen dessen was ihr entgeht,
entschädigen will. Nur muß ich Ihnen auf¬
richtig gestehen, Ihre Argumente haben mich
nicht überzeugt. Das reine Gefühl einer
endlichen allgemeinen Gleichheit, wenigstens
nach dem Tode, scheint mir beruhigender als
dieses eigensinnige starre Fortsetzen unserer
Persönlichkeiten, Anhänglichkeiten und Lebens¬
verhältnisse. Und was sagen Sie hierzu?
richtete sie ihre Frage an den Architecten.

nug, denn die Glieder der Familie ſind auf
eine Weiſe verletzt, wofuͤr gar kein Erſatz zu
denken iſt. Sie ſollen das ſchmerzlich ſuͤße
Gefuͤhl entbehren, ihren Geliebten ein Tod¬
tenopfer zu bringen, die troͤſtliche Hoffnung
dereinſt unmittelbar neben ihnen zu ruhen.

Die Sache iſt nicht von der Bedeutung,
verſetzte Charlotte, daß man ſich deshalb durch
einen Rechtshandel beunruhigen ſollte. Meine
Anſtalt reut mich ſo wenig, daß ich die
Kirche gern, wegen deſſen was ihr entgeht,
entſchaͤdigen will. Nur muß ich Ihnen auf¬
richtig geſtehen, Ihre Argumente haben mich
nicht uͤberzeugt. Das reine Gefuͤhl einer
endlichen allgemeinen Gleichheit, wenigſtens
nach dem Tode, ſcheint mir beruhigender als
dieſes eigenſinnige ſtarre Fortſetzen unſerer
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[12/0015] nug, denn die Glieder der Familie ſind auf eine Weiſe verletzt, wofuͤr gar kein Erſatz zu denken iſt. Sie ſollen das ſchmerzlich ſuͤße Gefuͤhl entbehren, ihren Geliebten ein Tod¬ tenopfer zu bringen, die troͤſtliche Hoffnung dereinſt unmittelbar neben ihnen zu ruhen. Die Sache iſt nicht von der Bedeutung, verſetzte Charlotte, daß man ſich deshalb durch einen Rechtshandel beunruhigen ſollte. Meine Anſtalt reut mich ſo wenig, daß ich die Kirche gern, wegen deſſen was ihr entgeht, entſchaͤdigen will. Nur muß ich Ihnen auf¬ richtig geſtehen, Ihre Argumente haben mich nicht uͤberzeugt. Das reine Gefuͤhl einer endlichen allgemeinen Gleichheit, wenigſtens nach dem Tode, ſcheint mir beruhigender als dieſes eigenſinnige ſtarre Fortſetzen unſerer Perſoͤnlichkeiten, Anhaͤnglichkeiten und Lebens¬ verhaͤltniſſe. Und was ſagen Sie hierzu? richtete ſie ihre Frage an den Architecten.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/15>, abgerufen am 24.11.2024.