Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Ich möchte, versetzte dieser, in einer sol¬
chen Sache weder streiten, noch den Ausschlag
geben. Lassen Sie mich das, was meiner
Kunst, meiner Denkweise am nächsten liegt,
bescheidentlich äußern. Seitdem wir nicht
mehr so glücklich sind, die Reste eines ge¬
liebten Gegenstandes eingeurnt an unsere
Brust zu drücken; da wir weder reich noch
heiter genug sind, sie unversehrt in großen
wohl ausgezierten Sarkophagen zu verwah¬
ren; ja da wir nicht einmal in den Kirchen
mehr Platz für uns und für die Unsrigen fin¬
den, sondern hinaus ins Freye gewiesen sind:
so haben wir alle Ursache, die Art und Weise
die Sie, meine gnädige Frau, eingeleitet ha¬
ben, zu billigen. Wenn die Glieder einer
Gemeinde reihenweise neben einander liegen,
so ruhen sie bey und unter den Ihrigen; und
wenn die Erde uns einmal aufnehmen soll,
so finde ich nichts natürlicher und reinlicher,
als daß man die zufällig entstandenen nach

Ich moͤchte, verſetzte dieſer, in einer ſol¬
chen Sache weder ſtreiten, noch den Ausſchlag
geben. Laſſen Sie mich das, was meiner
Kunſt, meiner Denkweiſe am naͤchſten liegt,
beſcheidentlich aͤußern. Seitdem wir nicht
mehr ſo gluͤcklich ſind, die Reſte eines ge¬
liebten Gegenſtandes eingeurnt an unſere
Bruſt zu druͤcken; da wir weder reich noch
heiter genug ſind, ſie unverſehrt in großen
wohl ausgezierten Sarkophagen zu verwah¬
ren; ja da wir nicht einmal in den Kirchen
mehr Platz fuͤr uns und fuͤr die Unſrigen fin¬
den, ſondern hinaus ins Freye gewieſen ſind:
ſo haben wir alle Urſache, die Art und Weiſe
die Sie, meine gnaͤdige Frau, eingeleitet ha¬
ben, zu billigen. Wenn die Glieder einer
Gemeinde reihenweiſe neben einander liegen,
ſo ruhen ſie bey und unter den Ihrigen; und
wenn die Erde uns einmal aufnehmen ſoll,
ſo finde ich nichts natuͤrlicher und reinlicher,
als daß man die zufaͤllig entſtandenen nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0016" n="13"/>
        <p>Ich mo&#x0364;chte, ver&#x017F;etzte die&#x017F;er, in einer &#x017F;ol¬<lb/>
chen Sache weder &#x017F;treiten, noch den Aus&#x017F;chlag<lb/>
geben. La&#x017F;&#x017F;en Sie mich das, was meiner<lb/>
Kun&#x017F;t, meiner Denkwei&#x017F;e am na&#x0364;ch&#x017F;ten liegt,<lb/>
be&#x017F;cheidentlich a&#x0364;ußern. Seitdem wir nicht<lb/>
mehr &#x017F;o glu&#x0364;cklich &#x017F;ind, die Re&#x017F;te eines ge¬<lb/>
liebten Gegen&#x017F;tandes eingeurnt an un&#x017F;ere<lb/>
Bru&#x017F;t zu dru&#x0364;cken; da wir weder reich noch<lb/>
heiter genug &#x017F;ind, &#x017F;ie unver&#x017F;ehrt in großen<lb/>
wohl ausgezierten Sarkophagen zu verwah¬<lb/>
ren; ja da wir nicht einmal in den Kirchen<lb/>
mehr Platz fu&#x0364;r uns und fu&#x0364;r die Un&#x017F;rigen fin¬<lb/>
den, &#x017F;ondern hinaus ins Freye gewie&#x017F;en &#x017F;ind:<lb/>
&#x017F;o haben wir alle Ur&#x017F;ache, die Art und Wei&#x017F;e<lb/>
die Sie, meine gna&#x0364;dige Frau, eingeleitet ha¬<lb/>
ben, zu billigen. Wenn die Glieder einer<lb/>
Gemeinde reihenwei&#x017F;e neben einander liegen,<lb/>
&#x017F;o ruhen &#x017F;ie bey und unter den Ihrigen; und<lb/>
wenn die Erde uns einmal aufnehmen &#x017F;oll,<lb/>
&#x017F;o finde ich nichts natu&#x0364;rlicher und reinlicher,<lb/>
als daß man die zufa&#x0364;llig ent&#x017F;tandenen nach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0016] Ich moͤchte, verſetzte dieſer, in einer ſol¬ chen Sache weder ſtreiten, noch den Ausſchlag geben. Laſſen Sie mich das, was meiner Kunſt, meiner Denkweiſe am naͤchſten liegt, beſcheidentlich aͤußern. Seitdem wir nicht mehr ſo gluͤcklich ſind, die Reſte eines ge¬ liebten Gegenſtandes eingeurnt an unſere Bruſt zu druͤcken; da wir weder reich noch heiter genug ſind, ſie unverſehrt in großen wohl ausgezierten Sarkophagen zu verwah¬ ren; ja da wir nicht einmal in den Kirchen mehr Platz fuͤr uns und fuͤr die Unſrigen fin¬ den, ſondern hinaus ins Freye gewieſen ſind: ſo haben wir alle Urſache, die Art und Weiſe die Sie, meine gnaͤdige Frau, eingeleitet ha¬ ben, zu billigen. Wenn die Glieder einer Gemeinde reihenweiſe neben einander liegen, ſo ruhen ſie bey und unter den Ihrigen; und wenn die Erde uns einmal aufnehmen ſoll, ſo finde ich nichts natuͤrlicher und reinlicher, als daß man die zufaͤllig entſtandenen nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/16
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/16>, abgerufen am 21.11.2024.