Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Reisenden betrachte, der vielem entsagt,
um vieles zu genießen. Ich bin an den
Wechsel gewöhnt, ja er wird mir Bedürf¬
niß, wie man in der Oper immer wieder auf
eine neue Decoration wartet, gerade weil
schon so viele da gewesen. Was ich mir
von dem besten und dem schlechtesten Wirths¬
hause versprechen darf, ist mir bekannt: es
mag so gut oder schlimm seyn als es will,
nirgends find' ich das Gewohnte, und am
Ende läuft es auf Eins hinaus, ganz von
einer nothwendigen Gewohnheit, oder ganz
von der willkührlichsten Zufälligkeit abzuhan¬
gen. Wenigstens habe ich jetzt nicht den
Verdruß, daß etwas verlegt oder verloren
ist, daß mir ein tägliches Wohnzimmer un¬
brauchbar wird, weil ich es muß repariren
lassen, daß man mir eine liebe Tasse zer¬
bricht und es mir eine ganze Zeit aus keiner
andern schmecken will. Alles dessen bin ich
überhoben, und wenn mir das Haus über
dem Kopf zu brennen anfängt, so packen

einen Reiſenden betrachte, der vielem entſagt,
um vieles zu genießen. Ich bin an den
Wechſel gewoͤhnt, ja er wird mir Beduͤrf¬
niß, wie man in der Oper immer wieder auf
eine neue Decoration wartet, gerade weil
ſchon ſo viele da geweſen. Was ich mir
von dem beſten und dem ſchlechteſten Wirths¬
hauſe verſprechen darf, iſt mir bekannt: es
mag ſo gut oder ſchlimm ſeyn als es will,
nirgends find' ich das Gewohnte, und am
Ende laͤuft es auf Eins hinaus, ganz von
einer nothwendigen Gewohnheit, oder ganz
von der willkuͤhrlichſten Zufaͤlligkeit abzuhan¬
gen. Wenigſtens habe ich jetzt nicht den
Verdruß, daß etwas verlegt oder verloren
iſt, daß mir ein taͤgliches Wohnzimmer un¬
brauchbar wird, weil ich es muß repariren
laſſen, daß man mir eine liebe Taſſe zer¬
bricht und es mir eine ganze Zeit aus keiner
andern ſchmecken will. Alles deſſen bin ich
uͤberhoben, und wenn mir das Haus uͤber
dem Kopf zu brennen anfaͤngt, ſo packen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="192"/>
einen Rei&#x017F;enden betrachte, der vielem ent&#x017F;agt,<lb/>
um vieles zu genießen. Ich bin an den<lb/>
Wech&#x017F;el gewo&#x0364;hnt, ja er wird mir Bedu&#x0364;rf¬<lb/>
niß, wie man in der Oper immer wieder auf<lb/>
eine neue Decoration wartet, gerade weil<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o viele da gewe&#x017F;en. Was ich mir<lb/>
von dem be&#x017F;ten und dem &#x017F;chlechte&#x017F;ten Wirths¬<lb/>
hau&#x017F;e ver&#x017F;prechen darf, i&#x017F;t mir bekannt: es<lb/>
mag &#x017F;o gut oder &#x017F;chlimm &#x017F;eyn als es will,<lb/>
nirgends find' ich das Gewohnte, und am<lb/>
Ende la&#x0364;uft es auf Eins hinaus, ganz von<lb/>
einer nothwendigen Gewohnheit, oder ganz<lb/>
von der willku&#x0364;hrlich&#x017F;ten Zufa&#x0364;lligkeit abzuhan¬<lb/>
gen. Wenig&#x017F;tens habe ich jetzt nicht den<lb/>
Verdruß, daß etwas verlegt oder verloren<lb/>
i&#x017F;t, daß mir ein ta&#x0364;gliches Wohnzimmer un¬<lb/>
brauchbar wird, weil ich es muß repariren<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, daß man mir eine liebe Ta&#x017F;&#x017F;e zer¬<lb/>
bricht und es mir eine ganze Zeit aus keiner<lb/>
andern &#x017F;chmecken will. Alles de&#x017F;&#x017F;en bin ich<lb/>
u&#x0364;berhoben, und wenn mir das Haus u&#x0364;ber<lb/>
dem Kopf zu brennen anfa&#x0364;ngt, &#x017F;o packen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0195] einen Reiſenden betrachte, der vielem entſagt, um vieles zu genießen. Ich bin an den Wechſel gewoͤhnt, ja er wird mir Beduͤrf¬ niß, wie man in der Oper immer wieder auf eine neue Decoration wartet, gerade weil ſchon ſo viele da geweſen. Was ich mir von dem beſten und dem ſchlechteſten Wirths¬ hauſe verſprechen darf, iſt mir bekannt: es mag ſo gut oder ſchlimm ſeyn als es will, nirgends find' ich das Gewohnte, und am Ende laͤuft es auf Eins hinaus, ganz von einer nothwendigen Gewohnheit, oder ganz von der willkuͤhrlichſten Zufaͤlligkeit abzuhan¬ gen. Wenigſtens habe ich jetzt nicht den Verdruß, daß etwas verlegt oder verloren iſt, daß mir ein taͤgliches Wohnzimmer un¬ brauchbar wird, weil ich es muß repariren laſſen, daß man mir eine liebe Taſſe zer¬ bricht und es mir eine ganze Zeit aus keiner andern ſchmecken will. Alles deſſen bin ich uͤberhoben, und wenn mir das Haus uͤber dem Kopf zu brennen anfaͤngt, ſo packen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/195
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/195>, abgerufen am 24.11.2024.