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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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bisher fleißig um sie bekümmert hatten. Zu
Hause belebte sie der Anblick des Kindes;
es war gewiß jeder Liebe, jeder Sorgfalt
werth. Man sah in ihm ein wunderbares,
ja ein Wunderkind, höchst erfreulich dem
Anblick, an Größe, Ebenmaaß, Stärke und
Gesundheit, und was noch mehr in Verwun¬
derung setzte, war jene doppelte Aehnlichkeit
die sich immer mehr entwickelte. Den Gesichts¬
zügen und der ganzen Form nach glich das
Kind immer mehr dem Hauptmann, die Au¬
gen ließen sich immer weniger von Ottiliens
Augen unterscheiden.

Durch diese sonderbare Verwandtschaft und
vielleicht noch mehr durch das schöne Gefühl
der Frauen geleitet, welche das Kind eines
geliebten Mannes auch von einer Andern
mit zärtlicher Neigung umfangen, ward Otti¬
lie dem heranwachsenden Geschöpf so viel als
eine Mutter, oder vielmehr eine andre Art
von Mutter. Entfernte sich Charlotte, so

II. 15

bisher fleißig um ſie bekuͤmmert hatten. Zu
Hauſe belebte ſie der Anblick des Kindes;
es war gewiß jeder Liebe, jeder Sorgfalt
werth. Man ſah in ihm ein wunderbares,
ja ein Wunderkind, hoͤchſt erfreulich dem
Anblick, an Groͤße, Ebenmaaß, Staͤrke und
Geſundheit, und was noch mehr in Verwun¬
derung ſetzte, war jene doppelte Aehnlichkeit
die ſich immer mehr entwickelte. Den Geſichts¬
zuͤgen und der ganzen Form nach glich das
Kind immer mehr dem Hauptmann, die Au¬
gen ließen ſich immer weniger von Ottiliens
Augen unterſcheiden.

Durch dieſe ſonderbare Verwandtſchaft und
vielleicht noch mehr durch das ſchoͤne Gefuͤhl
der Frauen geleitet, welche das Kind eines
geliebten Mannes auch von einer Andern
mit zaͤrtlicher Neigung umfangen, ward Otti¬
lie dem heranwachſenden Geſchoͤpf ſo viel als
eine Mutter, oder vielmehr eine andre Art
von Mutter. Entfernte ſich Charlotte, ſo

II. 15
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[225/0228] bisher fleißig um ſie bekuͤmmert hatten. Zu Hauſe belebte ſie der Anblick des Kindes; es war gewiß jeder Liebe, jeder Sorgfalt werth. Man ſah in ihm ein wunderbares, ja ein Wunderkind, hoͤchſt erfreulich dem Anblick, an Groͤße, Ebenmaaß, Staͤrke und Geſundheit, und was noch mehr in Verwun¬ derung ſetzte, war jene doppelte Aehnlichkeit die ſich immer mehr entwickelte. Den Geſichts¬ zuͤgen und der ganzen Form nach glich das Kind immer mehr dem Hauptmann, die Au¬ gen ließen ſich immer weniger von Ottiliens Augen unterſcheiden. Durch dieſe ſonderbare Verwandtſchaft und vielleicht noch mehr durch das ſchoͤne Gefuͤhl der Frauen geleitet, welche das Kind eines geliebten Mannes auch von einer Andern mit zaͤrtlicher Neigung umfangen, ward Otti¬ lie dem heranwachſenden Geſchoͤpf ſo viel als eine Mutter, oder vielmehr eine andre Art von Mutter. Entfernte ſich Charlotte, ſo II. 15

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/228>, abgerufen am 24.11.2024.