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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Du löschest, versetzte der Major, mit
wenig Zügen alles aus, was man dir entge¬
gensetzen könnte und sollte; und doch muß es
wiederhohlt werden. Das Verhältniß zu dei¬
ner Frau in seinem ganzen Werthe dir zurück¬
zurufen, überlasse ich dir selbst; aber du bist
es ihr, du bist es dir schuldig, dich hierüber
nicht zu verdunkeln. Wie kann ich aber nur
gedenken, daß Euch ein Sohn gegeben ist,
ohne zugleich auszusprechen, daß ihr einander
auf immer angehört, daß ihr um dieses We¬
sens willen schuldig seyd, vereint zu leben,
damit ihr vereint für seine Erziehung und für
sein künftiges Wohl sorgen möget.

Es ist bloß ein Dünkel der Aeltern, ver¬
setzte Eduard, wenn sie sich einbilden, daß
ihr Daseyn für die Kinder so nöthig sey.
Alles was lebt findet Nahrung und Beyhülfe,
und wenn der Sohn, nach dem frühen Tode
des Vaters, keine so bequeme, so begünstigte
Jugend hat; so gewinnt er vielleicht eben des¬

Du loͤſcheſt, verſetzte der Major, mit
wenig Zuͤgen alles aus, was man dir entge¬
genſetzen koͤnnte und ſollte; und doch muß es
wiederhohlt werden. Das Verhaͤltniß zu dei¬
ner Frau in ſeinem ganzen Werthe dir zuruͤck¬
zurufen, uͤberlaſſe ich dir ſelbſt; aber du biſt
es ihr, du biſt es dir ſchuldig, dich hieruͤber
nicht zu verdunkeln. Wie kann ich aber nur
gedenken, daß Euch ein Sohn gegeben iſt,
ohne zugleich auszuſprechen, daß ihr einander
auf immer angehoͤrt, daß ihr um dieſes We¬
ſens willen ſchuldig ſeyd, vereint zu leben,
damit ihr vereint fuͤr ſeine Erziehung und fuͤr
ſein kuͤnftiges Wohl ſorgen moͤget.

Es iſt bloß ein Duͤnkel der Aeltern, ver¬
ſetzte Eduard, wenn ſie ſich einbilden, daß
ihr Daſeyn fuͤr die Kinder ſo noͤthig ſey.
Alles was lebt findet Nahrung und Beyhuͤlfe,
und wenn der Sohn, nach dem fruͤhen Tode
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[231/0234] Du loͤſcheſt, verſetzte der Major, mit wenig Zuͤgen alles aus, was man dir entge¬ genſetzen koͤnnte und ſollte; und doch muß es wiederhohlt werden. Das Verhaͤltniß zu dei¬ ner Frau in ſeinem ganzen Werthe dir zuruͤck¬ zurufen, uͤberlaſſe ich dir ſelbſt; aber du biſt es ihr, du biſt es dir ſchuldig, dich hieruͤber nicht zu verdunkeln. Wie kann ich aber nur gedenken, daß Euch ein Sohn gegeben iſt, ohne zugleich auszuſprechen, daß ihr einander auf immer angehoͤrt, daß ihr um dieſes We¬ ſens willen ſchuldig ſeyd, vereint zu leben, damit ihr vereint fuͤr ſeine Erziehung und fuͤr ſein kuͤnftiges Wohl ſorgen moͤget. Es iſt bloß ein Duͤnkel der Aeltern, ver¬ ſetzte Eduard, wenn ſie ſich einbilden, daß ihr Daſeyn fuͤr die Kinder ſo noͤthig ſey. Alles was lebt findet Nahrung und Beyhuͤlfe, und wenn der Sohn, nach dem fruͤhen Tode des Vaters, keine ſo bequeme, ſo beguͤnſtigte Jugend hat; ſo gewinnt er vielleicht eben des¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/234>, abgerufen am 21.11.2024.