Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

wegen an schnellerer Bildung für die Welt,
durch zeitiges Anerkennen, daß er sich in
andere schicken muß; was wir denn doch
früher oder später alle lernen müssen.
Und hievon ist ja die Rede gar nicht: wir
sind reich genug, um mehrere Kinder zu ver¬
sorgen, und es ist keineswegs Pflicht noch
Wohlthat, auf Ein Haupt so viele Güter zu
häufen.

Als der Major mit einigen Zügen Char¬
lottens Werth und Eduards lange bestande¬
nes Verhältniß zu ihr anzudeuten gedachte,
fiel ihm Eduard hastig in die Rede: Wir ha¬
ben eine Thorheit begangen, die ich nur all¬
zuwohl einsehe. Wer in einem gewissen Al¬
ter frühere Jugendwünsche und Hoffnungen
realisiren will, betriegt sich immer: denn je¬
des Jahrzehend des Menschen hat sein eige¬
nes Glück, seine eigenen Hoffnungen und
Aussichten. Wehe dem Menschen der vor¬
wärts oder rückwärts zu greifen, durch Um¬

wegen an ſchnellerer Bildung fuͤr die Welt,
durch zeitiges Anerkennen, daß er ſich in
andere ſchicken muß; was wir denn doch
fruͤher oder ſpaͤter alle lernen muͤſſen.
Und hievon iſt ja die Rede gar nicht: wir
ſind reich genug, um mehrere Kinder zu ver¬
ſorgen, und es iſt keineswegs Pflicht noch
Wohlthat, auf Ein Haupt ſo viele Guͤter zu
haͤufen.

Als der Major mit einigen Zuͤgen Char¬
lottens Werth und Eduards lange beſtande¬
nes Verhaͤltniß zu ihr anzudeuten gedachte,
fiel ihm Eduard haſtig in die Rede: Wir ha¬
ben eine Thorheit begangen, die ich nur all¬
zuwohl einſehe. Wer in einem gewiſſen Al¬
ter fruͤhere Jugendwuͤnſche und Hoffnungen
realiſiren will, betriegt ſich immer: denn je¬
des Jahrzehend des Menſchen hat ſein eige¬
nes Gluͤck, ſeine eigenen Hoffnungen und
Ausſichten. Wehe dem Menſchen der vor¬
waͤrts oder ruͤckwaͤrts zu greifen, durch Um¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="232"/>
wegen an &#x017F;chnellerer Bildung fu&#x0364;r die Welt,<lb/>
durch zeitiges Anerkennen, daß er &#x017F;ich in<lb/>
andere &#x017F;chicken muß; was wir denn doch<lb/>
fru&#x0364;her oder &#x017F;pa&#x0364;ter alle lernen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Und hievon i&#x017F;t ja die Rede gar nicht: wir<lb/>
&#x017F;ind reich genug, um mehrere Kinder zu ver¬<lb/>
&#x017F;orgen, und es i&#x017F;t keineswegs Pflicht noch<lb/>
Wohlthat, auf Ein Haupt &#x017F;o viele Gu&#x0364;ter zu<lb/>
ha&#x0364;ufen.</p><lb/>
        <p>Als der Major mit einigen Zu&#x0364;gen Char¬<lb/>
lottens Werth und Eduards lange be&#x017F;tande¬<lb/>
nes Verha&#x0364;ltniß zu ihr anzudeuten gedachte,<lb/>
fiel ihm Eduard ha&#x017F;tig in die Rede: Wir ha¬<lb/>
ben eine Thorheit begangen, die ich nur all¬<lb/>
zuwohl ein&#x017F;ehe. Wer in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Al¬<lb/>
ter fru&#x0364;here Jugendwu&#x0364;n&#x017F;che und Hoffnungen<lb/>
reali&#x017F;iren will, betriegt &#x017F;ich immer: denn je¬<lb/>
des Jahrzehend des Men&#x017F;chen hat &#x017F;ein eige¬<lb/>
nes Glu&#x0364;ck, &#x017F;eine eigenen Hoffnungen und<lb/>
Aus&#x017F;ichten. Wehe dem Men&#x017F;chen der vor¬<lb/>
wa&#x0364;rts oder ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts zu greifen, durch Um¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0235] wegen an ſchnellerer Bildung fuͤr die Welt, durch zeitiges Anerkennen, daß er ſich in andere ſchicken muß; was wir denn doch fruͤher oder ſpaͤter alle lernen muͤſſen. Und hievon iſt ja die Rede gar nicht: wir ſind reich genug, um mehrere Kinder zu ver¬ ſorgen, und es iſt keineswegs Pflicht noch Wohlthat, auf Ein Haupt ſo viele Guͤter zu haͤufen. Als der Major mit einigen Zuͤgen Char¬ lottens Werth und Eduards lange beſtande¬ nes Verhaͤltniß zu ihr anzudeuten gedachte, fiel ihm Eduard haſtig in die Rede: Wir ha¬ ben eine Thorheit begangen, die ich nur all¬ zuwohl einſehe. Wer in einem gewiſſen Al¬ ter fruͤhere Jugendwuͤnſche und Hoffnungen realiſiren will, betriegt ſich immer: denn je¬ des Jahrzehend des Menſchen hat ſein eige¬ nes Gluͤck, ſeine eigenen Hoffnungen und Ausſichten. Wehe dem Menſchen der vor¬ waͤrts oder ruͤckwaͤrts zu greifen, durch Um¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/235
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/235>, abgerufen am 21.11.2024.