Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

in diesem Augenblick. Er hat Charlotten nicht
getroffen, das weiß ich: er kann ihr entge¬
gen gegangen seyn, denn man wußte wo sie
hin war. Wie vielerley Fälle sind möglich!
Laß mich! Jetzt muß sie kommen. Sie er¬
wartet mich mit dem Kinde dort oben.

Ottilie sprach in Hast. Sie rief sich alle
Möglichkeiten zusammen. Sie war glücklich
in Eduards Nähe und fühlte, daß sie ihn
jetzt entfernen müsse. Ich bitte, ich beschwöre
dich, Geliebter! rief sie aus: Kehre zurück
und erwarte den Major! Ich gehorche deinen
Befehlen, rief Eduard, indem er sie erst lei¬
denschaftlich anblickte und sie dann fest in sei¬
ne Arme schloß. Sie umschlang ihn mit den
ihrigen und drückte ihn auf das zärtlichste an
ihre Brust. Die Hoffnung fuhr wie ein
Stern, der vom Himmel fällt, über ihre
Häupter weg. Sie wähnten, sie glaubten
einander anzugehören; sie wechselten zum er¬

in dieſem Augenblick. Er hat Charlotten nicht
getroffen, das weiß ich: er kann ihr entge¬
gen gegangen ſeyn, denn man wußte wo ſie
hin war. Wie vielerley Faͤlle ſind moͤglich!
Laß mich! Jetzt muß ſie kommen. Sie er¬
wartet mich mit dem Kinde dort oben.

Ottilie ſprach in Haſt. Sie rief ſich alle
Moͤglichkeiten zuſammen. Sie war gluͤcklich
in Eduards Naͤhe und fuͤhlte, daß ſie ihn
jetzt entfernen muͤſſe. Ich bitte, ich beſchwoͤre
dich, Geliebter! rief ſie aus: Kehre zuruͤck
und erwarte den Major! Ich gehorche deinen
Befehlen, rief Eduard, indem er ſie erſt lei¬
denſchaftlich anblickte und ſie dann feſt in ſei¬
ne Arme ſchloß. Sie umſchlang ihn mit den
ihrigen und druͤckte ihn auf das zaͤrtlichſte an
ihre Bruſt. Die Hoffnung fuhr wie ein
Stern, der vom Himmel faͤllt, uͤber ihre
Haͤupter weg. Sie waͤhnten, ſie glaubten
einander anzugehoͤren; ſie wechſelten zum er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0255" n="252"/>
in die&#x017F;em Augenblick. Er hat Charlotten nicht<lb/>
getroffen, das weiß ich: er kann ihr entge¬<lb/>
gen gegangen &#x017F;eyn, denn man wußte wo &#x017F;ie<lb/>
hin war. Wie vielerley Fa&#x0364;lle &#x017F;ind mo&#x0364;glich!<lb/>
Laß mich! Jetzt muß &#x017F;ie kommen. Sie er¬<lb/>
wartet mich mit dem Kinde dort oben.</p><lb/>
        <p>Ottilie &#x017F;prach in Ha&#x017F;t. Sie rief &#x017F;ich alle<lb/>
Mo&#x0364;glichkeiten zu&#x017F;ammen. Sie war glu&#x0364;cklich<lb/>
in Eduards Na&#x0364;he und fu&#x0364;hlte, daß &#x017F;ie ihn<lb/>
jetzt entfernen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Ich bitte, ich be&#x017F;chwo&#x0364;re<lb/>
dich, Geliebter! rief &#x017F;ie aus: Kehre zuru&#x0364;ck<lb/>
und erwarte den Major! Ich gehorche deinen<lb/>
Befehlen, rief Eduard, indem er &#x017F;ie er&#x017F;t lei¬<lb/>
den&#x017F;chaftlich anblickte und &#x017F;ie dann fe&#x017F;t in &#x017F;ei¬<lb/>
ne Arme &#x017F;chloß. Sie um&#x017F;chlang ihn mit den<lb/>
ihrigen und dru&#x0364;ckte ihn auf das za&#x0364;rtlich&#x017F;te an<lb/>
ihre Bru&#x017F;t. Die Hoffnung fuhr wie ein<lb/>
Stern, der vom Himmel fa&#x0364;llt, u&#x0364;ber ihre<lb/>
Ha&#x0364;upter weg. Sie wa&#x0364;hnten, &#x017F;ie glaubten<lb/>
einander anzugeho&#x0364;ren; &#x017F;ie wech&#x017F;elten zum er¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0255] in dieſem Augenblick. Er hat Charlotten nicht getroffen, das weiß ich: er kann ihr entge¬ gen gegangen ſeyn, denn man wußte wo ſie hin war. Wie vielerley Faͤlle ſind moͤglich! Laß mich! Jetzt muß ſie kommen. Sie er¬ wartet mich mit dem Kinde dort oben. Ottilie ſprach in Haſt. Sie rief ſich alle Moͤglichkeiten zuſammen. Sie war gluͤcklich in Eduards Naͤhe und fuͤhlte, daß ſie ihn jetzt entfernen muͤſſe. Ich bitte, ich beſchwoͤre dich, Geliebter! rief ſie aus: Kehre zuruͤck und erwarte den Major! Ich gehorche deinen Befehlen, rief Eduard, indem er ſie erſt lei¬ denſchaftlich anblickte und ſie dann feſt in ſei¬ ne Arme ſchloß. Sie umſchlang ihn mit den ihrigen und druͤckte ihn auf das zaͤrtlichſte an ihre Bruſt. Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel faͤllt, uͤber ihre Haͤupter weg. Sie waͤhnten, ſie glaubten einander anzugehoͤren; ſie wechſelten zum er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/255
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/255>, abgerufen am 01.06.2024.