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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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stenmal entschiedene, freye Küsse und trennten
sich gewaltsam und schmerzlich.

Die Sonne war untergegangen und es
dämmerte schon und duftete feucht um den
See. Ottilie stand verwirrt und bewegt; sie
sah nach dem Berghause hinüber und glaubte
Charlottens weißes Kleid auf dem Altan zu
sehen. Der Umweg war groß am See hin;
sie kannte Charlottens ungeduldiges Harren
nach dem Kinde. Die Platanen sieht sie ge¬
gen sich über, nur ein Wasserraum trennt sie
von dem Pfade, der sogleich zu dem Gebäude
hinaufführt. Mit Gedanken ist sie schon drü¬
ben, wie mit den Augen. Die Bedenklich¬
keit, mit dem Kinde sich aufs Wasser zu wa¬
gen, verschwindet in diesem Drange. Sie
eilt nach dem Kahn, sie fühlt nicht daß ihr
Herz pocht, daß ihre Füße schwanken, daß
ihr die Sinne zu vergehen drohn.

Sie springt in den Kahn, ergreift das
Ruder und stößt ab. Sie muß Gewalt brau¬

ſtenmal entſchiedene, freye Kuͤſſe und trennten
ſich gewaltſam und ſchmerzlich.

Die Sonne war untergegangen und es
daͤmmerte ſchon und duftete feucht um den
See. Ottilie ſtand verwirrt und bewegt; ſie
ſah nach dem Berghauſe hinuͤber und glaubte
Charlottens weißes Kleid auf dem Altan zu
ſehen. Der Umweg war groß am See hin;
ſie kannte Charlottens ungeduldiges Harren
nach dem Kinde. Die Platanen ſieht ſie ge¬
gen ſich uͤber, nur ein Waſſerraum trennt ſie
von dem Pfade, der ſogleich zu dem Gebaͤude
hinauffuͤhrt. Mit Gedanken iſt ſie ſchon druͤ¬
ben, wie mit den Augen. Die Bedenklich¬
keit, mit dem Kinde ſich aufs Waſſer zu wa¬
gen, verſchwindet in dieſem Drange. Sie
eilt nach dem Kahn, ſie fuͤhlt nicht daß ihr
Herz pocht, daß ihre Fuͤße ſchwanken, daß
ihr die Sinne zu vergehen drohn.

Sie ſpringt in den Kahn, ergreift das
Ruder und ſtoͤßt ab. Sie muß Gewalt brau¬

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[253/0256] ſtenmal entſchiedene, freye Kuͤſſe und trennten ſich gewaltſam und ſchmerzlich. Die Sonne war untergegangen und es daͤmmerte ſchon und duftete feucht um den See. Ottilie ſtand verwirrt und bewegt; ſie ſah nach dem Berghauſe hinuͤber und glaubte Charlottens weißes Kleid auf dem Altan zu ſehen. Der Umweg war groß am See hin; ſie kannte Charlottens ungeduldiges Harren nach dem Kinde. Die Platanen ſieht ſie ge¬ gen ſich uͤber, nur ein Waſſerraum trennt ſie von dem Pfade, der ſogleich zu dem Gebaͤude hinauffuͤhrt. Mit Gedanken iſt ſie ſchon druͤ¬ ben, wie mit den Augen. Die Bedenklich¬ keit, mit dem Kinde ſich aufs Waſſer zu wa¬ gen, verſchwindet in dieſem Drange. Sie eilt nach dem Kahn, ſie fuͤhlt nicht daß ihr Herz pocht, daß ihre Fuͤße ſchwanken, daß ihr die Sinne zu vergehen drohn. Sie ſpringt in den Kahn, ergreift das Ruder und ſtoͤßt ab. Sie muß Gewalt brau¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/256>, abgerufen am 24.11.2024.