was nur halb verstehen, öfters wurde aber doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬ stand wenigstens durch die Empfindung, mi߬ deutet. Man fürchtete sich zu verletzen, und gerade die Furcht war am ersten verletzbar und verletzte am ersten.
Wollte man den Ort verändern und sich zugleich, wenigstens auf einige Zeit, von ein¬ ander trennen; so trat die alte Frage wieder hervor: wo sich Ottilie hinbegeben solle? Je¬ nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬ suche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬ ter unterhaltende und wetteifernde Gespielin¬ nen zu verschaffen. Schon bey der letzten Anwesenheit der Baronesse, und neuerlich durch Briefe, war Charlotte aufgefordert worden, Ottilien dorthin zu senden; jetzt brachte sie es abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte aber ausdrücklich dahin zu gehen, wo sie das¬ jenige finden würde, was man große Welt zu nennen pflegt.
18 *
was nur halb verſtehen, oͤfters wurde aber doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬ ſtand wenigſtens durch die Empfindung, mi߬ deutet. Man fuͤrchtete ſich zu verletzen, und gerade die Furcht war am erſten verletzbar und verletzte am erſten.
Wollte man den Ort veraͤndern und ſich zugleich, wenigſtens auf einige Zeit, von ein¬ ander trennen; ſo trat die alte Frage wieder hervor: wo ſich Ottilie hinbegeben ſolle? Je¬ nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬ ſuche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬ ter unterhaltende und wetteifernde Geſpielin¬ nen zu verſchaffen. Schon bey der letzten Anweſenheit der Baroneſſe, und neuerlich durch Briefe, war Charlotte aufgefordert worden, Ottilien dorthin zu ſenden; jetzt brachte ſie es abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte aber ausdruͤcklich dahin zu gehen, wo ſie das¬ jenige finden wuͤrde, was man große Welt zu nennen pflegt.
18 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0278"n="275"/>
was nur halb verſtehen, oͤfters wurde aber<lb/>
doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬<lb/>ſtand wenigſtens durch die Empfindung, mi߬<lb/>
deutet. Man fuͤrchtete ſich zu verletzen, und<lb/>
gerade die Furcht war am erſten verletzbar<lb/>
und verletzte am erſten.</p><lb/><p>Wollte man den Ort veraͤndern und ſich<lb/>
zugleich, wenigſtens auf einige Zeit, von ein¬<lb/>
ander trennen; ſo trat die alte Frage wieder<lb/>
hervor: wo ſich Ottilie hinbegeben ſolle? Je¬<lb/>
nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬<lb/>ſuche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬<lb/>
ter unterhaltende und wetteifernde Geſpielin¬<lb/>
nen zu verſchaffen. Schon bey der letzten<lb/>
Anweſenheit der Baroneſſe, und neuerlich durch<lb/>
Briefe, war Charlotte aufgefordert worden,<lb/>
Ottilien dorthin zu ſenden; jetzt brachte ſie es<lb/>
abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte<lb/>
aber ausdruͤcklich dahin zu gehen, wo ſie das¬<lb/>
jenige finden wuͤrde, was man große Welt<lb/>
zu nennen pflegt.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">18 *<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[275/0278]
was nur halb verſtehen, oͤfters wurde aber
doch ein Ausdruck, wo nicht durch den Ver¬
ſtand wenigſtens durch die Empfindung, mi߬
deutet. Man fuͤrchtete ſich zu verletzen, und
gerade die Furcht war am erſten verletzbar
und verletzte am erſten.
Wollte man den Ort veraͤndern und ſich
zugleich, wenigſtens auf einige Zeit, von ein¬
ander trennen; ſo trat die alte Frage wieder
hervor: wo ſich Ottilie hinbegeben ſolle? Je¬
nes große reiche Haus hatte vergebliche Ver¬
ſuche gemacht, einer hoffnungsvollen Erbtoch¬
ter unterhaltende und wetteifernde Geſpielin¬
nen zu verſchaffen. Schon bey der letzten
Anweſenheit der Baroneſſe, und neuerlich durch
Briefe, war Charlotte aufgefordert worden,
Ottilien dorthin zu ſenden; jetzt brachte ſie es
abermals zur Sprache. Ottilie verweigerte
aber ausdruͤcklich dahin zu gehen, wo ſie das¬
jenige finden wuͤrde, was man große Welt
zu nennen pflegt.
18 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/278>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.