Lassen Sie mich, liebe Tante, sagte sie, damit ich nicht eingeschränkt und eigensinnig erscheine, dasjenige aussprechen was zu ver¬ schweigen, zu verbergen in einem andern Falle Pflicht wäre. Ein seltsam unglücklicher Mensch, und wenn er auch schuldlos wäre, ist auf eine fürchterliche Weise gezeichnet. Seine Gegen¬ wart erregt in allen die ihn sehen, die ihn gewahr werden, ein Art von Entsetzen. Jeder will das Ungeheure ihm ansehen was ihm auferlegt ward; jeder ist neugierig und ängst¬ lich zugleich. So bleibt ein Haus, eine Stadt, worin eine ungeheure That gesche¬ hen, jedem furchtbar der sie betritt. Dort leuchtet das Licht des Tages nicht so hell, und die Sterne scheinen ihren Glanz zu ver¬ lieren.
Wie groß, und doch vielleicht zu entschul¬ digen, ist gegen solche Unglückliche die In¬ discretion der Menschen, ihre alberne Zu¬ dringlichkeit und ungeschickte Gutmüthigkeit.
Laſſen Sie mich, liebe Tante, ſagte ſie, damit ich nicht eingeſchraͤnkt und eigenſinnig erſcheine, dasjenige ausſprechen was zu ver¬ ſchweigen, zu verbergen in einem andern Falle Pflicht waͤre. Ein ſeltſam ungluͤcklicher Menſch, und wenn er auch ſchuldlos waͤre, iſt auf eine fuͤrchterliche Weiſe gezeichnet. Seine Gegen¬ wart erregt in allen die ihn ſehen, die ihn gewahr werden, ein Art von Entſetzen. Jeder will das Ungeheure ihm anſehen was ihm auferlegt ward; jeder iſt neugierig und aͤngſt¬ lich zugleich. So bleibt ein Haus, eine Stadt, worin eine ungeheure That geſche¬ hen, jedem furchtbar der ſie betritt. Dort leuchtet das Licht des Tages nicht ſo hell, und die Sterne ſcheinen ihren Glanz zu ver¬ lieren.
Wie groß, und doch vielleicht zu entſchul¬ digen, iſt gegen ſolche Ungluͤckliche die In¬ discretion der Menſchen, ihre alberne Zu¬ dringlichkeit und ungeſchickte Gutmuͤthigkeit.
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Laſſen Sie mich, liebe Tante, ſagte ſie,
damit ich nicht eingeſchraͤnkt und eigenſinnig
erſcheine, dasjenige ausſprechen was zu ver¬
ſchweigen, zu verbergen in einem andern Falle
Pflicht waͤre. Ein ſeltſam ungluͤcklicher Menſch,
und wenn er auch ſchuldlos waͤre, iſt auf eine
fuͤrchterliche Weiſe gezeichnet. Seine Gegen¬
wart erregt in allen die ihn ſehen, die ihn
gewahr werden, ein Art von Entſetzen. Jeder
will das Ungeheure ihm anſehen was ihm
auferlegt ward; jeder iſt neugierig und aͤngſt¬
lich zugleich. So bleibt ein Haus, eine
Stadt, worin eine ungeheure That geſche¬
hen, jedem furchtbar der ſie betritt. Dort
leuchtet das Licht des Tages nicht ſo hell,
und die Sterne ſcheinen ihren Glanz zu ver¬
lieren.
Wie groß, und doch vielleicht zu entſchul¬
digen, iſt gegen ſolche Ungluͤckliche die In¬
discretion der Menſchen, ihre alberne Zu¬
dringlichkeit und ungeſchickte Gutmuͤthigkeit.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/279>, abgerufen am 24.11.2024.
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