kraft des Liebenden sich lebhaft ergangen. Er sah Ottilien, allein oder so gut als allein, auf wohlbekanntem Wege, in einem gewohn¬ ten Wirthshause, dessen Zimmer er so oft be¬ treten; er dachte, er überlegte, oder vielmehr, er dachte, er überlegte nicht; er wünschte, er wollte nur. Er mußte sie sehn, sie sprechen. Wozu, warum, was daraus ent¬ stehen sollte? davon konnte die Rede nicht seyn. Er widerstand nicht, er mußte.
Der Kammerdiener ward ins Vertrauen gezogen, und erforschte sogleich Tag und Stunde, wann Ottilie reisen würde. Der Morgen brach an; Eduard säumte nicht, un¬ begleitet sich zu Pferde dahin zu begeben, wo Ottilie übernachten sollte. Er kam nur allzuzeitig dort an: die überraschte Wirthinn empfing ihn mit Freuden: sie war ihm ein großes Familienglück schuldig geworden. Er hatte ihrem Sohn, der als Soldat sich sehr brav gehalten, ein Ehrenzeichen verschafft.
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kraft des Liebenden ſich lebhaft ergangen. Er ſah Ottilien, allein oder ſo gut als allein, auf wohlbekanntem Wege, in einem gewohn¬ ten Wirthshauſe, deſſen Zimmer er ſo oft be¬ treten; er dachte, er uͤberlegte, oder vielmehr, er dachte, er uͤberlegte nicht; er wuͤnſchte, er wollte nur. Er mußte ſie ſehn, ſie ſprechen. Wozu, warum, was daraus ent¬ ſtehen ſollte? davon konnte die Rede nicht ſeyn. Er widerſtand nicht, er mußte.
Der Kammerdiener ward ins Vertrauen gezogen, und erforſchte ſogleich Tag und Stunde, wann Ottilie reiſen wuͤrde. Der Morgen brach an; Eduard ſaͤumte nicht, un¬ begleitet ſich zu Pferde dahin zu begeben, wo Ottilie uͤbernachten ſollte. Er kam nur allzuzeitig dort an: die uͤberraſchte Wirthinn empfing ihn mit Freuden: ſie war ihm ein großes Familiengluͤck ſchuldig geworden. Er hatte ihrem Sohn, der als Soldat ſich ſehr brav gehalten, ein Ehrenzeichen verſchafft.
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kraft des Liebenden ſich lebhaft ergangen. Er
ſah Ottilien, allein oder ſo gut als allein,
auf wohlbekanntem Wege, in einem gewohn¬
ten Wirthshauſe, deſſen Zimmer er ſo oft be¬
treten; er dachte, er uͤberlegte, oder vielmehr,
er dachte, er uͤberlegte nicht; er wuͤnſchte,
er wollte nur. Er mußte ſie ſehn, ſie
ſprechen. Wozu, warum, was daraus ent¬
ſtehen ſollte? davon konnte die Rede nicht
ſeyn. Er widerſtand nicht, er mußte.
Der Kammerdiener ward ins Vertrauen
gezogen, und erforſchte ſogleich Tag und
Stunde, wann Ottilie reiſen wuͤrde. Der
Morgen brach an; Eduard ſaͤumte nicht, un¬
begleitet ſich zu Pferde dahin zu begeben,
wo Ottilie uͤbernachten ſollte. Er kam nur
allzuzeitig dort an: die uͤberraſchte Wirthinn
empfing ihn mit Freuden: ſie war ihm
ein großes Familiengluͤck ſchuldig geworden.
Er hatte ihrem Sohn, der als Soldat ſich
ſehr brav gehalten, ein Ehrenzeichen verſchafft.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/294>, abgerufen am 24.11.2024.
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