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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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mehr dem andern etwas nach; jede Art von
Bitterkeit war verschwunden. Der Major be¬
gleitete mit der Violine das Clavierspiel Char¬
lottens, so wie Eduards Flöte mit Ottiliens
Behandlung des Saiteninstruments wieder wie
vormals zusammentraf. So rückte man dem
Geburtstage Eduards näher, dessen Feyer man
vor einem Jahre nicht erreicht hatte. Er
sollte ohne Festlichkeit in stillem freundlichen
Behagen dießmal gefeyert werden. So war
man, halb stillschweigend halb ausdrücklich,
mit einander übereingekommen. Doch je näher
diese Epoche heranrückte, vermehrte sich das
Feyerliche in Ottiliens Wesen, das man bis¬
her mehr empfunden als bemerkt hatte. Sie
schien im Garten oft die Blumen zu mustern;
sie hatte dem Gärtner angedeutet, die Som¬
mergewächse aller Art zu schonen, und sich
besonders bey den Astern aufgehalten, die ge¬
rade dieses Jahr in unmäßiger Menge blühten.


mehr dem andern etwas nach; jede Art von
Bitterkeit war verſchwunden. Der Major be¬
gleitete mit der Violine das Clavierſpiel Char¬
lottens, ſo wie Eduards Floͤte mit Ottiliens
Behandlung des Saiteninſtruments wieder wie
vormals zuſammentraf. So ruͤckte man dem
Geburtstage Eduards naͤher, deſſen Feyer man
vor einem Jahre nicht erreicht hatte. Er
ſollte ohne Feſtlichkeit in ſtillem freundlichen
Behagen dießmal gefeyert werden. So war
man, halb ſtillſchweigend halb ausdruͤcklich,
mit einander uͤbereingekommen. Doch je naͤher
dieſe Epoche heranruͤckte, vermehrte ſich das
Feyerliche in Ottiliens Weſen, das man bis¬
her mehr empfunden als bemerkt hatte. Sie
ſchien im Garten oft die Blumen zu muſtern;
ſie hatte dem Gaͤrtner angedeutet, die Som¬
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beſonders bey den Aſtern aufgehalten, die ge¬
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[312/0315] mehr dem andern etwas nach; jede Art von Bitterkeit war verſchwunden. Der Major be¬ gleitete mit der Violine das Clavierſpiel Char¬ lottens, ſo wie Eduards Floͤte mit Ottiliens Behandlung des Saiteninſtruments wieder wie vormals zuſammentraf. So ruͤckte man dem Geburtstage Eduards naͤher, deſſen Feyer man vor einem Jahre nicht erreicht hatte. Er ſollte ohne Feſtlichkeit in ſtillem freundlichen Behagen dießmal gefeyert werden. So war man, halb ſtillſchweigend halb ausdruͤcklich, mit einander uͤbereingekommen. Doch je naͤher dieſe Epoche heranruͤckte, vermehrte ſich das Feyerliche in Ottiliens Weſen, das man bis¬ her mehr empfunden als bemerkt hatte. Sie ſchien im Garten oft die Blumen zu muſtern; ſie hatte dem Gaͤrtner angedeutet, die Som¬ mergewaͤchſe aller Art zu ſchonen, und ſich beſonders bey den Aſtern aufgehalten, die ge¬ rade dieſes Jahr in unmaͤßiger Menge bluͤhten.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/315>, abgerufen am 21.11.2024.