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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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den Schmuck auseinander legend und ihrem
Mädchen manches andeutend, welche sie voll¬
kommen verstand und die stummen Anord¬
nungen geschickt befolgte.

Mittler war gerade auf eine seiner Lieb¬
lingsmaterien gekommen. Er pflegte gern zu
behaupten, daß sowohl bey der Erziehung der
Kinder als bey der Leitung der Völker, nichts
ungeschickter und barbarischer sey als Verbote,
als verbietende Gesetze und Anordnungen.
Der Mensch ist von Hause aus thätig, sagte
er, und wenn man ihm zu gebieten versteht,
so fährt er gleich dahinter her, handelt und
richtet aus. Ich für meine Person mag lie¬
ber in meinem Kreise Fehler und Gebrechen
so lange dulden, bis ich die entgegengesetzte
Tugend gebieten kann, als daß ich den Feh¬
ler los würde und nichts Rechtes an seiner
Stelle sähe. Der Mensch thut recht gern
das Gute, das Zweckmäßige, wenn er nur
dazu kommen kann; er thut es, damit er was

den Schmuck auseinander legend und ihrem
Maͤdchen manches andeutend, welche ſie voll¬
kommen verſtand und die ſtummen Anord¬
nungen geſchickt befolgte.

Mittler war gerade auf eine ſeiner Lieb¬
lingsmaterien gekommen. Er pflegte gern zu
behaupten, daß ſowohl bey der Erziehung der
Kinder als bey der Leitung der Voͤlker, nichts
ungeſchickter und barbariſcher ſey als Verbote,
als verbietende Geſetze und Anordnungen.
Der Menſch iſt von Hauſe aus thaͤtig, ſagte
er, und wenn man ihm zu gebieten verſteht,
ſo faͤhrt er gleich dahinter her, handelt und
richtet aus. Ich fuͤr meine Perſon mag lie¬
ber in meinem Kreiſe Fehler und Gebrechen
ſo lange dulden, bis ich die entgegengeſetzte
Tugend gebieten kann, als daß ich den Feh¬
ler los wuͤrde und nichts Rechtes an ſeiner
Stelle ſaͤhe. Der Menſch thut recht gern
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[317/0320] den Schmuck auseinander legend und ihrem Maͤdchen manches andeutend, welche ſie voll¬ kommen verſtand und die ſtummen Anord¬ nungen geſchickt befolgte. Mittler war gerade auf eine ſeiner Lieb¬ lingsmaterien gekommen. Er pflegte gern zu behaupten, daß ſowohl bey der Erziehung der Kinder als bey der Leitung der Voͤlker, nichts ungeſchickter und barbariſcher ſey als Verbote, als verbietende Geſetze und Anordnungen. Der Menſch iſt von Hauſe aus thaͤtig, ſagte er, und wenn man ihm zu gebieten verſteht, ſo faͤhrt er gleich dahinter her, handelt und richtet aus. Ich fuͤr meine Perſon mag lie¬ ber in meinem Kreiſe Fehler und Gebrechen ſo lange dulden, bis ich die entgegengeſetzte Tugend gebieten kann, als daß ich den Feh¬ ler los wuͤrde und nichts Rechtes an ſeiner Stelle ſaͤhe. Der Menſch thut recht gern das Gute, das Zweckmaͤßige, wenn er nur dazu kommen kann; er thut es, damit er was

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/320>, abgerufen am 24.11.2024.