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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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war Eduard von seinem Ende überrascht
worden. Er hatte, was er bisher sorgfältig
zu verbergen pflegte, das ihm von Ottilien
übrig gebliebene, in einem stillen Augenblick,
vor sich aus einem Kästchen, aus einer Brief¬
tasche ausgebreitet: eine Locke, Blumen in
glücklicher Stunde gepflückt, alle Blättchen
die sie ihm geschrieben, von jenem ersten an
das ihm seine Gattinn so zufällig ahndungs¬
reich übergeben hatte. Das alles konnte er
nicht einer ungefähren Entdeckung mit Wil¬
len preißgeben. Und so lag denn auch dieses
vor kurzem zu unendlicher Bewegung aufge¬
regte Herz in unstörbarer Ruhe; und wie
er in Gedanken an die Heilige eingeschlafen
war, so konnte man wohl ihn selig nennen.
Charlotte gab ihm seinen Platz neben Ottilien
und verordnete, daß Niemand weiter in die¬
sem Gewölbe beygesetzt werde. Unter dieser
Bedingung machte sie für Kirche und Schule,
für den Geistlichen und den Schullehrer an¬
sehnliche Stiftungen.

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war Eduard von ſeinem Ende uͤberraſcht
worden. Er hatte, was er bisher ſorgfaͤltig
zu verbergen pflegte, das ihm von Ottilien
uͤbrig gebliebene, in einem ſtillen Augenblick,
vor ſich aus einem Kaͤſtchen, aus einer Brief¬
taſche ausgebreitet: eine Locke, Blumen in
gluͤcklicher Stunde gepfluͤckt, alle Blaͤttchen
die ſie ihm geſchrieben, von jenem erſten an
das ihm ſeine Gattinn ſo zufaͤllig ahndungs¬
reich uͤbergeben hatte. Das alles konnte er
nicht einer ungefaͤhren Entdeckung mit Wil¬
len preißgeben. Und ſo lag denn auch dieſes
vor kurzem zu unendlicher Bewegung aufge¬
regte Herz in unſtoͤrbarer Ruhe; und wie
er in Gedanken an die Heilige eingeſchlafen
war, ſo konnte man wohl ihn ſelig nennen.
Charlotte gab ihm ſeinen Platz neben Ottilien
und verordnete, daß Niemand weiter in die¬
ſem Gewoͤlbe beygeſetzt werde. Unter dieſer
Bedingung machte ſie fuͤr Kirche und Schule,
fuͤr den Geiſtlichen und den Schullehrer an¬
ſehnliche Stiftungen.

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[339/0342] war Eduard von ſeinem Ende uͤberraſcht worden. Er hatte, was er bisher ſorgfaͤltig zu verbergen pflegte, das ihm von Ottilien uͤbrig gebliebene, in einem ſtillen Augenblick, vor ſich aus einem Kaͤſtchen, aus einer Brief¬ taſche ausgebreitet: eine Locke, Blumen in gluͤcklicher Stunde gepfluͤckt, alle Blaͤttchen die ſie ihm geſchrieben, von jenem erſten an das ihm ſeine Gattinn ſo zufaͤllig ahndungs¬ reich uͤbergeben hatte. Das alles konnte er nicht einer ungefaͤhren Entdeckung mit Wil¬ len preißgeben. Und ſo lag denn auch dieſes vor kurzem zu unendlicher Bewegung aufge¬ regte Herz in unſtoͤrbarer Ruhe; und wie er in Gedanken an die Heilige eingeſchlafen war, ſo konnte man wohl ihn ſelig nennen. Charlotte gab ihm ſeinen Platz neben Ottilien und verordnete, daß Niemand weiter in die¬ ſem Gewoͤlbe beygeſetzt werde. Unter dieſer Bedingung machte ſie fuͤr Kirche und Schule, fuͤr den Geiſtlichen und den Schullehrer an¬ ſehnliche Stiftungen. 22 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/342>, abgerufen am 24.11.2024.