zur Guitarre singt. Indeß versicherte Jeder¬ mann, sie habe mit viel Ausdruck gesungen, und sie konnte mit dem lauten Beyfall zu¬ frieden seyn. Nur ein wunderliches Unglück begegnete bey dieser Gelegenheit. In der Ge¬ sellschaft befand sich ein Dichter, den sie auch besonders zu verbinden hoffte, weil sie einige Lieder von ihm an sie gerichtet wünschte, und deshalb diesen Abend meist nur von seinen Liedern vortrug. Er war überhaupt, wie alle, höflich gegen sie, aber sie hatte mehr erwar¬ tet. Sie legte es ihm einigemal nahe, konnte aber weiter nichts von ihm vernehmen, bis sie endlich aus Ungeduld einen ihrer Hofleute an ihn schickte und sondiren ließ, ob er denn nicht entzückt gewesen sey, seine vortrefflichen Gedichte so vortrefflich vortragen zu hören. Meine Gedichte? versetzte dieser mit Erstau¬ nen. Verzeihen Sie, mein Herr, fügte er hinzu: ich habe nichts als Vocale gehört und die nicht einmal alle. Unterdessen ist es mei¬ ne Schuldigkeit mich für eine so liebenswür¬
zur Guitarre ſingt. Indeß verſicherte Jeder¬ mann, ſie habe mit viel Ausdruck geſungen, und ſie konnte mit dem lauten Beyfall zu¬ frieden ſeyn. Nur ein wunderliches Ungluͤck begegnete bey dieſer Gelegenheit. In der Ge¬ ſellſchaft befand ſich ein Dichter, den ſie auch beſonders zu verbinden hoffte, weil ſie einige Lieder von ihm an ſie gerichtet wuͤnſchte, und deshalb dieſen Abend meiſt nur von ſeinen Liedern vortrug. Er war uͤberhaupt, wie alle, hoͤflich gegen ſie, aber ſie hatte mehr erwar¬ tet. Sie legte es ihm einigemal nahe, konnte aber weiter nichts von ihm vernehmen, bis ſie endlich aus Ungeduld einen ihrer Hofleute an ihn ſchickte und ſondiren ließ, ob er denn nicht entzuͤckt geweſen ſey, ſeine vortrefflichen Gedichte ſo vortrefflich vortragen zu hoͤren. Meine Gedichte? verſetzte dieſer mit Erſtau¬ nen. Verzeihen Sie, mein Herr, fuͤgte er hinzu: ich habe nichts als Vocale gehoͤrt und die nicht einmal alle. Unterdeſſen iſt es mei¬ ne Schuldigkeit mich fuͤr eine ſo liebenswuͤr¬
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zur Guitarre ſingt. Indeß verſicherte Jeder¬
mann, ſie habe mit viel Ausdruck geſungen,
und ſie konnte mit dem lauten Beyfall zu¬
frieden ſeyn. Nur ein wunderliches Ungluͤck
begegnete bey dieſer Gelegenheit. In der Ge¬
ſellſchaft befand ſich ein Dichter, den ſie auch
beſonders zu verbinden hoffte, weil ſie einige
Lieder von ihm an ſie gerichtet wuͤnſchte, und
deshalb dieſen Abend meiſt nur von ſeinen
Liedern vortrug. Er war uͤberhaupt, wie alle,
hoͤflich gegen ſie, aber ſie hatte mehr erwar¬
tet. Sie legte es ihm einigemal nahe, konnte
aber weiter nichts von ihm vernehmen, bis
ſie endlich aus Ungeduld einen ihrer Hofleute
an ihn ſchickte und ſondiren ließ, ob er denn
nicht entzuͤckt geweſen ſey, ſeine vortrefflichen
Gedichte ſo vortrefflich vortragen zu hoͤren.
Meine Gedichte? verſetzte dieſer mit Erſtau¬
nen. Verzeihen Sie, mein Herr, fuͤgte er
hinzu: ich habe nichts als Vocale gehoͤrt und
die nicht einmal alle. Unterdeſſen iſt es mei¬
ne Schuldigkeit mich fuͤr eine ſo liebenswuͤr¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/87>, abgerufen am 21.11.2024.
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