Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

aufrichtig reden sollte, ihr Vortrag geistlos
und heftig ohne leidenschaftlich zu seyn. Sie
recitirte Balladen, Erzählungen und was
sonst in Declamatorien vorzukommen pflegt.
Dabey hatte sie die unglückliche Gewohnheit
angenommen, das was sie vortrug mit Gesten
zu begleiten, wodurch man das was eigent¬
lich episch und lyrisch ist, auf eine unange¬
nehme Weise mit dem Dramatischen mehr ver¬
wirrt als verbindet.

Der Graf, ein einsichtsvoller Mann, der
gar bald die Gesellschaft, ihre Neigungen,
Leidenschaften und Unterhaltungen übersah,
brachte Lucianen, glücklicher oder unglücklicher
Weise, auf eine neue Art von Darstellung,
die ihrer Persönlichkeit sehr gemäß war. Ich
finde, sagte er, hier so manche wohlgestaltete
Personen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬
rische Bewegungen und Stellungen nachzuah¬
men. Sollten sie es noch nicht versucht ha¬
ben, wirkliche bekannte Gemälde vorzustellen?

aufrichtig reden ſollte, ihr Vortrag geiſtlos
und heftig ohne leidenſchaftlich zu ſeyn. Sie
recitirte Balladen, Erzaͤhlungen und was
ſonſt in Declamatorien vorzukommen pflegt.
Dabey hatte ſie die ungluͤckliche Gewohnheit
angenommen, das was ſie vortrug mit Geſten
zu begleiten, wodurch man das was eigent¬
lich epiſch und lyriſch iſt, auf eine unange¬
nehme Weiſe mit dem Dramatiſchen mehr ver¬
wirrt als verbindet.

Der Graf, ein einſichtsvoller Mann, der
gar bald die Geſellſchaft, ihre Neigungen,
Leidenſchaften und Unterhaltungen uͤberſah,
brachte Lucianen, gluͤcklicher oder ungluͤcklicher
Weiſe, auf eine neue Art von Darſtellung,
die ihrer Perſoͤnlichkeit ſehr gemaͤß war. Ich
finde, ſagte er, hier ſo manche wohlgeſtaltete
Perſonen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬
riſche Bewegungen und Stellungen nachzuah¬
men. Sollten ſie es noch nicht verſucht ha¬
ben, wirkliche bekannte Gemaͤlde vorzuſtellen?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="86"/>
aufrichtig reden &#x017F;ollte, ihr Vortrag gei&#x017F;tlos<lb/>
und heftig ohne leiden&#x017F;chaftlich zu &#x017F;eyn. Sie<lb/>
recitirte Balladen, Erza&#x0364;hlungen und was<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t in Declamatorien vorzukommen pflegt.<lb/>
Dabey hatte &#x017F;ie die unglu&#x0364;ckliche Gewohnheit<lb/>
angenommen, das was &#x017F;ie vortrug mit Ge&#x017F;ten<lb/>
zu begleiten, wodurch man das was eigent¬<lb/>
lich epi&#x017F;ch und lyri&#x017F;ch i&#x017F;t, auf eine unange¬<lb/>
nehme Wei&#x017F;e mit dem Dramati&#x017F;chen mehr ver¬<lb/>
wirrt als verbindet.</p><lb/>
        <p>Der Graf, ein ein&#x017F;ichtsvoller Mann, der<lb/>
gar bald die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, ihre Neigungen,<lb/>
Leiden&#x017F;chaften und Unterhaltungen u&#x0364;ber&#x017F;ah,<lb/>
brachte Lucianen, glu&#x0364;cklicher oder unglu&#x0364;cklicher<lb/>
Wei&#x017F;e, auf eine neue Art von Dar&#x017F;tellung,<lb/>
die ihrer Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit &#x017F;ehr gema&#x0364;ß war. Ich<lb/>
finde, &#x017F;agte er, hier &#x017F;o manche wohlge&#x017F;taltete<lb/>
Per&#x017F;onen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬<lb/>
ri&#x017F;che Bewegungen und Stellungen nachzuah¬<lb/>
men. Sollten &#x017F;ie es noch nicht ver&#x017F;ucht ha¬<lb/>
ben, wirkliche bekannte Gema&#x0364;lde vorzu&#x017F;tellen?<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0089] aufrichtig reden ſollte, ihr Vortrag geiſtlos und heftig ohne leidenſchaftlich zu ſeyn. Sie recitirte Balladen, Erzaͤhlungen und was ſonſt in Declamatorien vorzukommen pflegt. Dabey hatte ſie die ungluͤckliche Gewohnheit angenommen, das was ſie vortrug mit Geſten zu begleiten, wodurch man das was eigent¬ lich epiſch und lyriſch iſt, auf eine unange¬ nehme Weiſe mit dem Dramatiſchen mehr ver¬ wirrt als verbindet. Der Graf, ein einſichtsvoller Mann, der gar bald die Geſellſchaft, ihre Neigungen, Leidenſchaften und Unterhaltungen uͤberſah, brachte Lucianen, gluͤcklicher oder ungluͤcklicher Weiſe, auf eine neue Art von Darſtellung, die ihrer Perſoͤnlichkeit ſehr gemaͤß war. Ich finde, ſagte er, hier ſo manche wohlgeſtaltete Perſonen, denen es gewiß nicht fehlt, male¬ riſche Bewegungen und Stellungen nachzuah¬ men. Sollten ſie es noch nicht verſucht ha¬ ben, wirkliche bekannte Gemaͤlde vorzuſtellen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/89
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/89>, abgerufen am 24.11.2024.