Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.ob mir gleich selbst zu ahnden anfieng, unsere Lust- barkeit werde einen Stoß leiden. Jch war ausgestiegen. Und eine Magd, die Frem-
ob mir gleich ſelbſt zu ahnden anfieng, unſere Luſt- barkeit werde einen Stoß leiden. Jch war ausgeſtiegen. Und eine Magd, die Frem-
<TEI> <text> <body> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0030" n="30"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ob mir gleich ſelbſt zu ahnden anfieng, unſere Luſt-<lb/> barkeit werde einen Stoß leiden.</p><lb/> <p>Jch war ausgeſtiegen. Und eine Magd, die<lb/> an’s Thor kam, bat uns, einen Augenblik zu ver-<lb/> ziehen, Mamſell Lottchen wuͤrde gleich kommen. Jch<lb/> gieng durch den Hof nach dem wohlgebauten Hauſe,<lb/> und da ich die vorliegenden Treppen hinaufgeſtie-<lb/> gen war und in die Thuͤre trat, fiel mir das rei-<lb/> zendſte Schauſpiel in die Augen, das ich jemals<lb/> geſehen habe. Jn dem Vorſaale wimmelten ſechs<lb/> Kinder, von eilf zu zwey Jahren, um ein Maͤd-<lb/> chen von ſchoͤner mittlerer Taille, die ein ſimples<lb/> weiſſes Kleid mit blaßrothen Schleifen an Arm<lb/> und Bruſt anhatte. Sie hielt ein ſchwarzes Brod<lb/> und ſchnitt ihren Kleinen rings herum jedem<lb/> ſein Stuͤk nach Proportion ihres Alters und Appe-<lb/> tites ab, gabs jedem mit ſolcher Freundlichkeit,<lb/> und jedes rufte ſo ungekuͤnſtelt ſein: Danke! in-<lb/> dem es mit den kleinen Haͤndchen lang in die Hoͤh<lb/> gereicht hatte, eh es noch abgeſchnitten war, und<lb/> nun mit ſeinem Abendbrode vergnuͤgt entweder<lb/> wegſprang, oder nach ſeinem ſtillern Charakter ge-<lb/> laſſen davon nach dem Hofthore zugieng, um die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Frem-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0030]
ob mir gleich ſelbſt zu ahnden anfieng, unſere Luſt-
barkeit werde einen Stoß leiden.
Jch war ausgeſtiegen. Und eine Magd, die
an’s Thor kam, bat uns, einen Augenblik zu ver-
ziehen, Mamſell Lottchen wuͤrde gleich kommen. Jch
gieng durch den Hof nach dem wohlgebauten Hauſe,
und da ich die vorliegenden Treppen hinaufgeſtie-
gen war und in die Thuͤre trat, fiel mir das rei-
zendſte Schauſpiel in die Augen, das ich jemals
geſehen habe. Jn dem Vorſaale wimmelten ſechs
Kinder, von eilf zu zwey Jahren, um ein Maͤd-
chen von ſchoͤner mittlerer Taille, die ein ſimples
weiſſes Kleid mit blaßrothen Schleifen an Arm
und Bruſt anhatte. Sie hielt ein ſchwarzes Brod
und ſchnitt ihren Kleinen rings herum jedem
ſein Stuͤk nach Proportion ihres Alters und Appe-
tites ab, gabs jedem mit ſolcher Freundlichkeit,
und jedes rufte ſo ungekuͤnſtelt ſein: Danke! in-
dem es mit den kleinen Haͤndchen lang in die Hoͤh
gereicht hatte, eh es noch abgeſchnitten war, und
nun mit ſeinem Abendbrode vergnuͤgt entweder
wegſprang, oder nach ſeinem ſtillern Charakter ge-
laſſen davon nach dem Hofthore zugieng, um die
Frem-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |