Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



chen übermüthigen Freyer der Penelope Ochsen
und Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es
ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren
Empfindung ausfüllte, als die Züge patriarchali-
schen Lebens, die ich, Gott sey Dank, ohne Affek-
tation in meine Lebensart verweben kann.

Wie wohl ist mir's, daß mein Herz die simple
harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der
ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er
selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, son-
dern all die guten Tage, den schönen Morgen, da
er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn
begoß, und da er an dem fortschreitenden Wachs-
thume seine Freude hatte, alle in einem Augenblik-
ke wieder mit geniest.




Vorgestern kam der Medikus hier aus der Stadt
hinaus zum Amtmanne und fand mich auf
der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf
mir herumkrabelten, andere mich nekten und wie
ich sie küzzelte, und ein grosses Geschrey mit ihnen
verführte. Der Doktor, der eine sehr dogmatische

Dra-



chen uͤbermuͤthigen Freyer der Penelope Ochſen
und Schweine ſchlachten, zerlegen und braten. Es
iſt nichts, das mich ſo mit einer ſtillen, wahren
Empfindung ausfuͤllte, als die Zuͤge patriarchali-
ſchen Lebens, die ich, Gott ſey Dank, ohne Affek-
tation in meine Lebensart verweben kann.

Wie wohl iſt mir’s, daß mein Herz die ſimple
harmloſe Wonne des Menſchen fuͤhlen kann, der
ein Krauthaupt auf ſeinen Tiſch bringt, das er
ſelbſt gezogen, und nun nicht den Kohl allein, ſon-
dern all die guten Tage, den ſchoͤnen Morgen, da
er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn
begoß, und da er an dem fortſchreitenden Wachs-
thume ſeine Freude hatte, alle in einem Augenblik-
ke wieder mit genieſt.




Vorgeſtern kam der Medikus hier aus der Stadt
hinaus zum Amtmanne und fand mich auf
der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf
mir herumkrabelten, andere mich nekten und wie
ich ſie kuͤzzelte, und ein groſſes Geſchrey mit ihnen
verfuͤhrte. Der Doktor, der eine ſehr dogmatiſche

Dra-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="diaryEntry">
        <p><pb facs="#f0048" n="48"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
chen u&#x0364;bermu&#x0364;thigen Freyer der Penelope Och&#x017F;en<lb/>
und Schweine &#x017F;chlachten, zerlegen und braten. Es<lb/>
i&#x017F;t nichts, das mich &#x017F;o mit einer &#x017F;tillen, wahren<lb/>
Empfindung ausfu&#x0364;llte, als die Zu&#x0364;ge patriarchali-<lb/>
&#x017F;chen Lebens, die ich, Gott &#x017F;ey Dank, ohne Affek-<lb/>
tation in meine Lebensart verweben kann.</p><lb/>
        <p>Wie wohl i&#x017F;t mir&#x2019;s, daß mein Herz die &#x017F;imple<lb/>
harmlo&#x017F;e Wonne des Men&#x017F;chen fu&#x0364;hlen kann, der<lb/>
ein Krauthaupt auf &#x017F;einen Ti&#x017F;ch bringt, das er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t gezogen, und nun nicht den Kohl allein, &#x017F;on-<lb/>
dern all die guten Tage, den &#x017F;cho&#x0364;nen Morgen, da<lb/>
er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn<lb/>
begoß, und da er an dem fort&#x017F;chreitenden Wachs-<lb/>
thume &#x017F;eine Freude hatte, alle in einem Augenblik-<lb/>
ke wieder mit genie&#x017F;t.</p><lb/>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="diaryEntry">
        <dateline> <hi rendition="#et">am 29. Juny.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">V</hi>orge&#x017F;tern kam der Medikus hier aus der Stadt<lb/>
hinaus zum Amtmanne und fand mich auf<lb/>
der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf<lb/>
mir herumkrabelten, andere mich nekten und wie<lb/>
ich &#x017F;ie ku&#x0364;zzelte, und ein gro&#x017F;&#x017F;es Ge&#x017F;chrey mit ihnen<lb/>
verfu&#x0364;hrte. Der Doktor, der eine &#x017F;ehr dogmati&#x017F;che<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Dra-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0048] chen uͤbermuͤthigen Freyer der Penelope Ochſen und Schweine ſchlachten, zerlegen und braten. Es iſt nichts, das mich ſo mit einer ſtillen, wahren Empfindung ausfuͤllte, als die Zuͤge patriarchali- ſchen Lebens, die ich, Gott ſey Dank, ohne Affek- tation in meine Lebensart verweben kann. Wie wohl iſt mir’s, daß mein Herz die ſimple harmloſe Wonne des Menſchen fuͤhlen kann, der ein Krauthaupt auf ſeinen Tiſch bringt, das er ſelbſt gezogen, und nun nicht den Kohl allein, ſon- dern all die guten Tage, den ſchoͤnen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß, und da er an dem fortſchreitenden Wachs- thume ſeine Freude hatte, alle in einem Augenblik- ke wieder mit genieſt. am 29. Juny. Vorgeſtern kam der Medikus hier aus der Stadt hinaus zum Amtmanne und fand mich auf der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf mir herumkrabelten, andere mich nekten und wie ich ſie kuͤzzelte, und ein groſſes Geſchrey mit ihnen verfuͤhrte. Der Doktor, der eine ſehr dogmatiſche Dra-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/48
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/48>, abgerufen am 09.11.2024.