Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.einzusperren. Adieu, Wilhelm, du sollst von mei- nem Zuge hören. am 9. May. Jch habe die Wallfahrt nach meiner Heimath so
einzuſperren. Adieu, Wilhelm, du ſollſt von mei- nem Zuge hoͤren. am 9. May. Jch habe die Wallfahrt nach meiner Heimath ſo
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einzuſperren. Adieu, Wilhelm, du ſollſt von mei-
nem Zuge hoͤren.
am 9. May.
Jch habe die Wallfahrt nach meiner Heimath
mit aller Andacht eines Pilgrims vollendet,
und manche unerwartete Gefuͤhle haben mich er-
griffen. An der groſſen Linde, die eine Viertelſtun-
de vor der Stadt nach S.. zuſteht, ließ ich halten,
ſtieg aus und hieß den Poſtillion fortfahren, um
zu Fuſſe jede Erinnerung ganz neu, lebhaft nach
meinem Herzen zu koſten. Da ſtand ich nun un-
ter der Linde, die ehedeſſen als Knabe das Ziel
und die Graͤnze meiner Spaziergaͤnge geweſen.
Wie anders! Damals ſehnt ich mich in gluͤklicher
Unwiſſenheit hinaus in die unbekannte Welt, wo
ich fuͤr mein Herz alle die Nahrung, alle den Ge-
nuß hoffte, deſſen Ermangeln ich ſo oſt in meinem
Buſen fuͤhlte. Jezt kam ich zuruͤk aus der weiten
Welt — O mein Freund, mit wie viel fehlgeſchla-
genen Hofnungen, mit wie viel zerſtoͤrten Pla-
nen! — Jch ſah das Gebuͤrge vor mir liegen, das
ſo
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