Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.Jch merkte was unheimliches, und drum fragte ich durch einen Umweg: Was will er denn mit den Blumen? Ein wunderbares zukkendes Läch- len verzog sein Gesicht. Wenn er mich nicht ver- rathen will, sagt er, indem er den Finger auf den Mund drükte, ich habe meinem Schazze einen Straus versprochen. Das ist brav, sagt ich. O sagt' er, sie hat viel andre Sachen, sie ist reich. Und doch hat sie seinen Straus lieb, versezt ich. O! fuhr er fort, sie hat Juwelen und eine Krone. Wie heißt sie denn? -- Wenn mich die General- staaten bezahlen wollten! versezte er, ich wär ein anderer Mensch! Ja es war einmal eine Zeit, da mir's so wohl war. Jezt ist's aus mit mir, ich bin nun -- Ein nasser Blik zum Himmel drük- te alles aus. Er war also glüklich? fragt ich. Ach ich wollt ich wäre wieder so! sagt' er, da war mir's so wohl, so lustig, so leicht wie ein Fisch im Wasser! Heinrich! rufte eine alte Frau, die den Weg herkam. Heinrich, wo stikst du. Wir ha- ben dich überall gesucht. Komm zum Essen. Jst das euer Sohn? fragt' ich zu ihr tretend. Wohl mein armer Sohn, versezte sie. Gott hat mir ein schwe- L 3
Jch merkte was unheimliches, und drum fragte ich durch einen Umweg: Was will er denn mit den Blumen? Ein wunderbares zukkendes Laͤch- len verzog ſein Geſicht. Wenn er mich nicht ver- rathen will, ſagt er, indem er den Finger auf den Mund druͤkte, ich habe meinem Schazze einen Straus verſprochen. Das iſt brav, ſagt ich. O ſagt’ er, ſie hat viel andre Sachen, ſie iſt reich. Und doch hat ſie ſeinen Straus lieb, verſezt ich. O! fuhr er fort, ſie hat Juwelen und eine Krone. Wie heißt ſie denn? — Wenn mich die General- ſtaaten bezahlen wollten! verſezte er, ich waͤr ein anderer Menſch! Ja es war einmal eine Zeit, da mir’s ſo wohl war. Jezt iſt’s aus mit mir, ich bin nun — Ein naſſer Blik zum Himmel druͤk- te alles aus. Er war alſo gluͤklich? fragt ich. Ach ich wollt ich waͤre wieder ſo! ſagt’ er, da war mir’s ſo wohl, ſo luſtig, ſo leicht wie ein Fiſch im Waſſer! Heinrich! rufte eine alte Frau, die den Weg herkam. Heinrich, wo ſtikſt du. Wir ha- ben dich uͤberall geſucht. Komm zum Eſſen. Jſt das euer Sohn? fragt’ ich zu ihr tretend. Wohl mein armer Sohn, verſezte ſie. Gott hat mir ein ſchwe- L 3
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Jch merkte was unheimliches, und drum fragte
ich durch einen Umweg: Was will er denn mit
den Blumen? Ein wunderbares zukkendes Laͤch-
len verzog ſein Geſicht. Wenn er mich nicht ver-
rathen will, ſagt er, indem er den Finger auf den
Mund druͤkte, ich habe meinem Schazze einen
Straus verſprochen. Das iſt brav, ſagt ich. O
ſagt’ er, ſie hat viel andre Sachen, ſie iſt reich.
Und doch hat ſie ſeinen Straus lieb, verſezt ich.
O! fuhr er fort, ſie hat Juwelen und eine Krone.
Wie heißt ſie denn? — Wenn mich die General-
ſtaaten bezahlen wollten! verſezte er, ich waͤr ein
anderer Menſch! Ja es war einmal eine Zeit,
da mir’s ſo wohl war. Jezt iſt’s aus mit mir,
ich bin nun — Ein naſſer Blik zum Himmel druͤk-
te alles aus. Er war alſo gluͤklich? fragt ich.
Ach ich wollt ich waͤre wieder ſo! ſagt’ er, da war
mir’s ſo wohl, ſo luſtig, ſo leicht wie ein Fiſch im
Waſſer! Heinrich! rufte eine alte Frau, die den
Weg herkam. Heinrich, wo ſtikſt du. Wir ha-
ben dich uͤberall geſucht. Komm zum Eſſen. Jſt
das euer Sohn? fragt’ ich zu ihr tretend. Wohl
mein armer Sohn, verſezte ſie. Gott hat mir ein
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