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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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ich war mit gemeint. Zu so Weltgeschäften wä-
re der Graf ganz gut, er hätte viel Leichtigkeit zu
arbeiten, und führte eine gute Feder, doch an gründ-
licher Gelehrsamkeit mangelt es ihm, wie all den
Bellettristen. Darüber hätt ich ihn gern ausge-
prügelt, denn weiter ist mit den Kerls nicht zu
raisonniren, da das aber nun nicht angieng, so
focht ich mit ziemlicher Heftigkeit, und sagt ihm,
der Graf sey ein Mann, vor dem man Achtung ha-
ben müßte, wegen seines Charakters sowohl, als
seiner Kenntnisse; ich habe, sagt ich, niemand ge-
kannt, dem es so geglükt wäre, seinen Geist zu er-
weitern, ihn über unzählige Gegenstände zu ver-
breiten, und doch die Thätigkeit für's gemeine Le-
ben zu behalten. Das waren dem Gehirn spa-
nische Dörfer, und ich empfahl mich, um nicht
über ein weiteres Deraisonnement noch mehr Gal-
le zu schlukken.

Und daran seyd ihr all Schuld, die ihr
mich in das Joch geschwazt, und mir so viel
von Aktivität vorgesungen habt. Aktivität! Wenn
nicht der mehr thut, der Kartoffeln stekt, und in
die Stadt reitet, sein Korn zu verkaufen, als ich,

so



ich war mit gemeint. Zu ſo Weltgeſchaͤften waͤ-
re der Graf ganz gut, er haͤtte viel Leichtigkeit zu
arbeiten, und fuͤhrte eine gute Feder, doch an gruͤnd-
licher Gelehrſamkeit mangelt es ihm, wie all den
Bellettriſten. Daruͤber haͤtt ich ihn gern ausge-
pruͤgelt, denn weiter iſt mit den Kerls nicht zu
raiſonniren, da das aber nun nicht angieng, ſo
focht ich mit ziemlicher Heftigkeit, und ſagt ihm,
der Graf ſey ein Mann, vor dem man Achtung ha-
ben muͤßte, wegen ſeines Charakters ſowohl, als
ſeiner Kenntniſſe; ich habe, ſagt ich, niemand ge-
kannt, dem es ſo gegluͤkt waͤre, ſeinen Geiſt zu er-
weitern, ihn uͤber unzaͤhlige Gegenſtaͤnde zu ver-
breiten, und doch die Thaͤtigkeit fuͤr’s gemeine Le-
ben zu behalten. Das waren dem Gehirn ſpa-
niſche Doͤrfer, und ich empfahl mich, um nicht
uͤber ein weiteres Deraiſonnement noch mehr Gal-
le zu ſchlukken.

Und daran ſeyd ihr all Schuld, die ihr
mich in das Joch geſchwazt, und mir ſo viel
von Aktivitaͤt vorgeſungen habt. Aktivitaͤt! Wenn
nicht der mehr thut, der Kartoffeln ſtekt, und in
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[120/0008] ich war mit gemeint. Zu ſo Weltgeſchaͤften waͤ- re der Graf ganz gut, er haͤtte viel Leichtigkeit zu arbeiten, und fuͤhrte eine gute Feder, doch an gruͤnd- licher Gelehrſamkeit mangelt es ihm, wie all den Bellettriſten. Daruͤber haͤtt ich ihn gern ausge- pruͤgelt, denn weiter iſt mit den Kerls nicht zu raiſonniren, da das aber nun nicht angieng, ſo focht ich mit ziemlicher Heftigkeit, und ſagt ihm, der Graf ſey ein Mann, vor dem man Achtung ha- ben muͤßte, wegen ſeines Charakters ſowohl, als ſeiner Kenntniſſe; ich habe, ſagt ich, niemand ge- kannt, dem es ſo gegluͤkt waͤre, ſeinen Geiſt zu er- weitern, ihn uͤber unzaͤhlige Gegenſtaͤnde zu ver- breiten, und doch die Thaͤtigkeit fuͤr’s gemeine Le- ben zu behalten. Das waren dem Gehirn ſpa- niſche Doͤrfer, und ich empfahl mich, um nicht uͤber ein weiteres Deraiſonnement noch mehr Gal- le zu ſchlukken. Und daran ſeyd ihr all Schuld, die ihr mich in das Joch geſchwazt, und mir ſo viel von Aktivitaͤt vorgeſungen habt. Aktivitaͤt! Wenn nicht der mehr thut, der Kartoffeln ſtekt, und in die Stadt reitet, ſein Korn zu verkaufen, als ich, ſo

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/8>, abgerufen am 21.11.2024.