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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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ne Hunde vor ihm her verkündigen nicht seine An-
kunft. Hier muß ich sizzen allein.

Aber wer sind die dort unten liegen auf der
Haide -- Mein Geliebter? Mein Bruder? --
Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht.
Wie geängstet ist meine Seele -- Ach sie sind
todt! -- Jhre Schwerdte roth vom Gefecht. O
mein Bruder, mein Bruder, warum hast du mei-
nen Salgax erschlagen? O mein Salgar, warum
hast du meinen Bruder erschlagen? -- Jhr wart
mir beyde so lieb! O du warst schön an dem
Hügel unter Tausenden; er war schröklich in der
Schlacht. Antwortet mir! Hört meine Stimme,
meine Geliebten. Aber ach sie sind stumm.
Stumm vor ewig. Kalt wie die Erde ist ihr
Busen.

O von dem Felsen des Hügels, von dem
Gipfel des stürmenden Berges, redet Geister der
Todten! Redet! mir soll es nicht grausen! --
Wohin seyd ihr zur Ruhe gegangen? Jn wel-
cher Gruft des Gebürges soll ich euch finden! --
Keine schwache Stimme vernehm ich im Wind,
keine wehende Antwort im Sturme des Hügels.

Jch



ne Hunde vor ihm her verkuͤndigen nicht ſeine An-
kunft. Hier muß ich ſizzen allein.

Aber wer ſind die dort unten liegen auf der
Haide — Mein Geliebter? Mein Bruder? —
Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht.
Wie geaͤngſtet iſt meine Seele — Ach ſie ſind
todt! — Jhre Schwerdte roth vom Gefecht. O
mein Bruder, mein Bruder, warum haſt du mei-
nen Salgax erſchlagen? O mein Salgar, warum
haſt du meinen Bruder erſchlagen? — Jhr wart
mir beyde ſo lieb! O du warſt ſchoͤn an dem
Huͤgel unter Tauſenden; er war ſchroͤklich in der
Schlacht. Antwortet mir! Hoͤrt meine Stimme,
meine Geliebten. Aber ach ſie ſind ſtumm.
Stumm vor ewig. Kalt wie die Erde iſt ihr
Buſen.

O von dem Felſen des Huͤgels, von dem
Gipfel des ſtuͤrmenden Berges, redet Geiſter der
Todten! Redet! mir ſoll es nicht grauſen! —
Wohin ſeyd ihr zur Ruhe gegangen? Jn wel-
cher Gruft des Gebuͤrges ſoll ich euch finden! —
Keine ſchwache Stimme vernehm ich im Wind,
keine wehende Antwort im Sturme des Huͤgels.

Jch
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[196/0084] ne Hunde vor ihm her verkuͤndigen nicht ſeine An- kunft. Hier muß ich ſizzen allein. Aber wer ſind die dort unten liegen auf der Haide — Mein Geliebter? Mein Bruder? — Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht. Wie geaͤngſtet iſt meine Seele — Ach ſie ſind todt! — Jhre Schwerdte roth vom Gefecht. O mein Bruder, mein Bruder, warum haſt du mei- nen Salgax erſchlagen? O mein Salgar, warum haſt du meinen Bruder erſchlagen? — Jhr wart mir beyde ſo lieb! O du warſt ſchoͤn an dem Huͤgel unter Tauſenden; er war ſchroͤklich in der Schlacht. Antwortet mir! Hoͤrt meine Stimme, meine Geliebten. Aber ach ſie ſind ſtumm. Stumm vor ewig. Kalt wie die Erde iſt ihr Buſen. O von dem Felſen des Huͤgels, von dem Gipfel des ſtuͤrmenden Berges, redet Geiſter der Todten! Redet! mir ſoll es nicht grauſen! — Wohin ſeyd ihr zur Ruhe gegangen? Jn wel- cher Gruft des Gebuͤrges ſoll ich euch finden! — Keine ſchwache Stimme vernehm ich im Wind, keine wehende Antwort im Sturme des Huͤgels. Jch

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/84>, abgerufen am 16.05.2024.